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Die Rache des Samurai

Die Rache des Samurai

Titel: Die Rache des Samurai
Autoren: Laura Joh Rowland
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Dann kämmte er das dünne graue Haar und band es mit einem Stück weißer Kordel zu einem Pferdeschwanz zusammen. Anschließend trug er Wangenrot auf, um dem bleichen, eingefallenen Gesicht die Farbe des Lebens zurückzugeben, und wischte über den kahlen Scheitel, bis er matt glänzte. Als nächstes drückte er mit den Fingern auf die Augäpfel, bis sie auf eine Art und Weise nach unten blickten, die als höchst glückverheißend betrachtet wurde. Dann entzündete er ein Weihrauchstäbchen und fuhr damit um den Kopf herum, um dem toten Fleisch Wohlgeruch zu verleihen.
    Schließlich gab er seinem Werk den letzten Schliff und fügte das wichtigste Utensil hinzu: das kleine Schildchen aus weißem Papier mit den Schriftzeichen aus schwarzer Tusche, die den Zweck der Tat erläuterten. Er befestigte das Etikett am Pferdeschwanz des Toten und betrachtete sein Werk. Das Herz strömte ihm über vor Stolz, als sein Blick auf dem Kopf ruhte.
    Sein bundori . Seine Kriegstrophäe.

    Auf den Palisaden der Festung Kiyosu wogten unter dem roten Ball der untergehenden Sonne Flaggen in der abendlichen Brise. Kriegstrommeln dröhnten; Gesänge stiegen zum Himmel empor. Flackernde Fackeln erhellten den Hof im Inneren der Festung, wo Fürst Oda Nobunaga, noch immer in voller Rüstung, auf einem Schemel saß, von seinen Generälen flankiert. Vor ihm knieten seine Truppen, in Reihen gegliedert. Fürst Oda nickte würdevoll und gab den Befehl, mit der Zeremonie zu beginnen.
    Eine lange Reihe von Samurai kam in die Feste. Jeder trug ein Brett, auf das der Kopf eines Feindes gespießt war, den er seinem Fürsten zu Füßen legte; dann verbeugte sich der Krieger und machte kehrt, um einen weiteren Kopf zu holen.
    Der Jäger war der vierte in der Reihe. Beim Klang der Trommeln und Gesänge erfaßte ihn ein nie erlebtes Hochgefühl; er vermochte seine wilde Freude kaum zu bezähmen. Heute hatte er sich in der Schlacht hervorgetan, indem er ganz allein vierzig Männer getötet hatte. Und seine Belohnung war ein Ehrenplatz in der Reihe der Krieger sowie die Anerkennung seines Fürsten und der Samurai-Kameraden.
    Und das ist erst der Anfang, dachte er, benommen vor Freude. Er stellte sich die Zukunft vor und sah sich zuerst als Truppenführer, dann als General. Und wenn sein Ende kam, würde er im Ruhm der Schlacht sterben und seinem Fürsten den höchsten Tribut zollen: sein Leben.
    Endlich war der Jäger an der Reihe, vor Fürst Oda hinzutreten. Er straffte die Schultern und blickte geradeaus; dann trat er vor, den bundori in den ausgestreckten Händen.

    Draußen war der Nebel dichter geworden; der Regen hielt an. Gebeugt unter der Last des großen Weidenkorbes auf seinem Rücken, eilte der Jäger durch die leeren Straßen zu der Ruhestätte, die er für seine kostbare Trophäe erwählt hatte.
    »Seht zu, daß Ihr nach Hause kommt«, rief ein Nachtwächter ihm zu, als er durch eines der noch offenen Tore schlüpfte. »Wir schließen gleich.«
    Der Jäger beachtete ihn nicht. Er mußte den bundori an jenen Ort schaffen, wo jeder ihn sehen und bewundern und die heldenhafte Tat würdigen konnte, die er vollbracht hatte. Die Zeit wurde ihm knapp; mit jedem Augenblick, der verstrich, wuchs die Gefahr, von jemandem angehalten zu werden. Dennoch verspürte er keine Besorgnis oder gar Angst – nur das Verlangen, sein Werk zu vollenden.
    Rasch stieg er die Sprossen einer Leiter hinauf, die sich an der Mauer eines Ladens befand und über die Dachebene hinweg bis hinauf zur Plattform eines hohen, hölzernen Feuerwachturms führte. Der Nebel umhüllte den Jäger und verwehrte ihm den Blick auf die Stadt, die sich unter ihm ausbreitete. Er öffnete den Korb und nahm den Kopf heraus. In seiner Vorstellungswelt war der Abend von schattenhaften Gestalten erfüllt; in der tiefen Stille, in der nur das Tröpfeln des Regens zu hören war, vermeinte er den Klang von Trommeln und Gesängen zu vernehmen. Vorsichtig stellte er den Kopf auf die Plattform und verbeugte sich tief.
    »Ehrenwerter Fürst Oda«, flüsterte er, und ein berauschendes Gefühl der Genugtuung durchströmte ihn. »Bitte, nehmt diese Gabe als meinen ersten Tribut an Euch.«
    Dann schulterte er den leeren Korb und stieg die Leiter hinunter. Den Kopf hoch erhoben, machte er sich auf den Heimweg.
    Er hatte das wundervolle Gefühl, nicht nur einen einzelnen Mann, sondern ein ganzes Heer feindlicher Soldaten getötet zu haben – wobei er die ganze Zeit von weiteren, zukünftigen Siegen
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