Die Rache des Kaisers
Einsamkeit gesehnt, um über die Unterredung mit dem Hauptmann und die unerwarteten Offenbarungen nachdenken zu können. Aber immer, wenn ich tatsächlich allein ritt, streunten meine Gedanken in der Welt umher, und ich konnte sie nicht bündeln.
»Eigentlich«, sagte Avram irgendwann, »hätte ich erwartet, daß dein Gesicht sich verfinstert, je näher wir dem Dorf kommen. Aber du scheinst beinahe fröhlich.«
»Ich fühle mich eher nach Gesang als nach Tränen.«
»Magst du im Sattel deine Fiedel spielen?«
Ich lachte. »Und den Zügel des Packpferds dabei mit den Zähnen halten? Lieber nicht.«
»Was willst du nun mit den Namen anfangen?«
»Ich weiß es nicht. Noch nicht. Ich bin … überwältigt, könnte man sagen. Ich hatte nicht geglaubt, so bald wirklich etwas zu erfahren.«
»Überwältigt wie dieser Hauptmann in der Burg, was?« Avram gluckste. »Unser guter Herr hat alles bestens erwogen.
Lerne daraus - für das, was du demnächst tun willst.«
»Wie meinst du das?«
Avram schwieg einen Augenblick; dann sagte er: »Es ist immer wie ein Gefecht, Jakko - eine Schlacht mit Worten und Gebärden und, na ja, Zubehör. Glück gehört dazu, versteht sich. Ich nehme an, mit dem Schultheiß wäre alles nicht so einfach gewesen.«
»Bitte erhelle mich, weiser Mann.«
»Ganz einfach. Erstens hätte der Schultheiß, da er kein Soldat ist, wahrscheinlich nie etwas von diesem Spanier gehört. Und ob er den Hauptmann gefragt hätte? Ich weiß es nicht. Zweitens wäre er weder durch päpstliche Siegel noch durch ein paar Gulden so leicht zu beeindrucken gewesen.«
»Mag sein.«
»Jedenfalls - du mußt die Geschütze, sagen wir Gulden, so in Stellung bringen, daß der Gegner sie nicht mehr aus den Augen läßt. Dann schickst du über den anderen Flügel die Reiter vor, in diesem Fall die wundersamen Schreiben mit den wunderlichen Siegeln.«
»Die Reihenfolge war andersherum.«
»Gleichviel. Dann läßt du die Arkebusiere ihre Fragen abfeuern und hältst die Männer mit den Piken bereit, um notfalls Zwischenfragen zu stochern, und zuletzt kommen die mit den Schwertern und Dolchen. Aber am wichtigsten ist immer die Stoßrichtung des Angriffs - dieser war glänzend vorgetragen, so daß der Gegner ihn gar nicht als Angriff empfunden hat.«
»Du meinst, wenn wir gesagt hätten, wir suchen einen Mörder mit Eisenhand, hätte der Hauptmann geschwiegen?«
Avram grinste. »Kann sein. Vielleicht hätte er es als Zumutung empfunden, einen Mörder kennen zu sollen. Oder er hätte sich gesagt, dieser Spanier ist ein Held, er kann nichts wirklich Unrechtes getan haben, und außerdem sind er und ich Waffenbrüder, also sage ich nichts.«
Wir verbrachten die Nacht in einem kleinen Gehölz. Morgens begann es zu regnen - ein dünner, feiner Regen, der nach und nach alles durchtränkte. Im Tal des Rheins mochte es weiter ein schöner Spätsommer sein, aber hier auf den Hunsrückhöhen hatte sich der Herbst durchgesetzt, und mir kam es so vor, als zögen sich um uns Regenfäden zu einem Wassergewirk zusammen, das die Luft immer undurchsichtiger machte.
Kurz vor Sonnenuntergang - aber es war keine Sonne zu sehen - erreichten wir das Dorf. Wir hatten gehofft, aus Steinen und nicht völlig verbrannten Balken eine behelfsmäßige Unterkunft bauen zu können, doch waren die Steine von Moos und Flechten überzogen, und alle brauchbaren Balken mußten die Bauern der näheren Umgebung im Lauf der Jahre geholt haben. Sie hatten wohl auch die sauber behauenen Steine und sämtliche Ziegel des vor fünf Jahren nur halbzerstörten Gutshauses geborgen und neuer Nutzung zugeführt, so daß wir die Nacht lieber im Wald am Hang verbrachten.
Ich glaube nicht an Geister und habe auch damals nicht an sie geglaubt; dennoch war das wispernde Dunkel voll von ihnen. Jeder einzelne Nachbar aus dem Dorf erklomm Farnwedel, schaukelte auf Zweigen, segelte im Schrei eines Nachtvogels. Immer wieder die Eltern, die Schwestern, der kleine Bruder, und alle waren wie vor fünf Jahren, nicht gealtert, nicht verwandelt,
nicht verwest. Sie kamen und gingen, sprachen miteinander und riefen mir Worte zu, die ich deutlich zu hören glaubte, jedoch nicht verstehen konnte.
Avram hatte die erste Wache, aber da ich ohnehin nicht schlafen konnte, löste ich ihn bald ab. Erst gegen Ende der Nacht fielen mir die Augen zu, und es gelang mir eben noch, Jorgo zu wecken, ehe ich in einen Sumpf aus Blut und Blei tauchte, den ich nicht Schlummer nennen mag.
Bis
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