Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)

Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)

Titel: Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
Autoren: Richard Doetsch
Vom Netzwerk:
Mensch sich dadurch definierte, wie er diese Begabungen nutzt. Genevieves Einstellung zum Leben war positiv, egal unter welchen Umständen. Sie fürchtete sich vor nichts und niemandem und besaß die Gabe, selbst in der finstersten Seele irgendetwas Gutes zu entdecken.
    »Tja, hier sitzen wir nun«, sagte Michael. »Nicht gerade Nachbarn, wenn man bedenkt, dass Byram Hills sechstausend Kilometer von hier entfernt ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du den ganzen Weg gekommen bist, um dir meine Schneefräse auszuleihen.«
    Genevieve lächelte, wurde aber sofort wieder ernst. »Ich muss dich um etwas bitten.«
    »Was immer du brauchst.«
    »Antworte mir nicht sofort. Überdenke erst, was ich dir jetzt sagen werde.«
    »In Ordnung«, erwiderte Michael verwirrt, als er das Zögern in ihrer Stimme hörte.
    »Es gibt da ein Gemälde«, sagte sie. »Ein Kunstwerk, das schon sehr lange meiner Familie gehört. Es ist eine von nur zwei Arbeiten eines relativ unbekannten Künstlers. Ich dachte, das Bild sei verschwunden, aber kürzlich habe ich erfahren, dass es auf dem schwarzen Markt aufgetaucht ist. Dieses Gemälde enthält ein Familiengeheimnis, dessen Enthüllung schwerwiegende Folgen haben könnte.« Genevieve hielt einen Moment inne und begann wieder, Hawk zu streicheln. Dann fuhr sie fort: »Es ist nicht so, dass ich das Bild zurückhaben will. Ich möchte, dass es vernichtet wird, bevor die einzige Person es erwerben kann, in deren Besitz es niemals gelangen darf.«
    Michael begriff, dass sie ihn bat, in ihrem Auftrag ein Verbrechen zu begehen. Er blickte auf den Briefumschlag, auf das blaue kreuzförmige Zeichen in Genevieves Familienwappen. Der Augenblick dehnte sich endlos, denn die Kälte des Morgens kroch ihm langsam in die Knochen.
    »Ich werde gejagt, Michael, weil ich das Geheimnis dieses Kunstwerks entschlüsseln soll.«
    »Was meinst du mit ›gejagt‹?«, fragte Michael und setzte sich auf.
    »Der Mann, der versucht, an das Gemälde heranzukommen, kennt keine Gnade und macht vor nichts Halt, um sein Ziel zu erreichen. Kein Menschenleben ist ihm wichtig genug, keine Tat zu gottlos. Er ist verzweifelt. Und wie ein gefangenes Tier seine eigenen Gliedmaßen abnagt, um zu entkommen, kennt er kein Maß, kein Ziel und keine Grenzen. Der Ausweg, den er sucht – der Weg, den das Gemälde ihm weisen wird –, führt in den Tod.«
    »Woher weißt du das?«, fragte Michael. Mitgefühl lag in seiner Stimme, doch keine Skepsis. »Woher weißt du, dass du keine voreiligen Schlüsse ziehst? Wer könnte so kaltblütig sein, einen anderen Menschen zu jagen wie ein wildes Tier?«
    »Der Mann, von dem ich spreche … der Mann, der mich jagt«, Genevieve blickte Michael an, und er konnte den Schmerz in ihren Augen sehen, »ist mein eigener Sohn.«
    Michael ließ diese Worte auf sich einwirken, ohne Genevieve aus den Augen zu lassen. Ihr Blick, sonst immer so fest und zuversichtlich, war jetzt verzweifelt und irrte umher wie der eines Kindes, das sich verlaufen hat.
    Schließlich öffnete Genevieve die Messingschließe ihrer hellbraunen Ledertasche, griff hinein und zog ihre Autoschlüssel heraus. Sie stand auf und klopfte sich den Staub vom Mantel. Allmählich gewann sie ihre Fassung wieder.
    Auch Michael erhob sich und schaute sie an. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
    Genevieve beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange. »Sag gar nichts. Ich schäme mich, dich um so etwas zu bitten.« Sie legte den Manila-Umschlag in Michaels Hand. »Ich könnte verstehen, wenn du ablehnst. Im Grunde hoffe ich es sogar. Es war dumm von mir, dass ich hergekommen bin.«
    »Genevieve, ich …«, begann Michael.
    »Ich rufe dich in einer Woche an«, fiel sie ihm ins Wort und drehte sich um.
    Michael beobachtete, wie sie über den verschneiten Bürgersteig zu ihrem Wagen ging, einstieg und wegfuhr.
    Während der nächsten Tage machte Michael sich immer wieder Gedanken über Genevieves Bitte. War es eine Überreaktion gewesen? Eine paranoide Reaktion darauf, dass sie sich in ihrer Mutterliebe verraten fühlte? Die Verzweiflung in ihren Augen passte gar nicht zu ihrem Wesen. Obwohl Michael verstandesmäßig seine Zweifel hatte, stellte er Genevieves Motive nicht in Frage: Was immer es mit diesem Gemälde auf sich hatte – Genevieve glaubte fest an seine Bedeutsamkeit.
    Ihr Anliegen setzte Michael aber auch aus anderen Gründen schwer zu. Sie hatte ihn gebeten, in eine Welt zurückzukehren, die er seit Marys Tod nicht mehr betreten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher