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Die Puppe an der Decke

Die Puppe an der Decke

Titel: Die Puppe an der Decke
Autoren: Ingvar Ambjörnsen
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sehen. Rebekka schaltet die Taschenlampe an, die sie aus dem Auto mitgenommen hat. Dann betritt sie einen verwilderten Garten, in dem das Gras des Vorjahres kniehoch und tot dasteht. Kein Zaun, kein Briefkasten. Zu Ninas mattem Widerspruch lässt sie den Lichtkegel über die abgenutzten Bretter und die dunklen Fenster gleiten. Das Haus hat keine Nummer, das ist ja auch verständlich. Als sie die Tür erreicht haben, können sie auch kein Namensschild entdecken, hier wohnt niemand.
    »Gehen wir«, sagt Nina.
    Ja. Gehen wir durch den Wald weiter.
    Rebekka richtet den Lichtstrahl auf das weiter unten gelegene Haus, zwischen den beiden Grundstücken führt ein kleiner Weg entlang, eine Senke zwischen den Bäumen.
    Die Häuser sehen genau gleich aus. Zwei Stockwerke, spitze Giebel, eine nach Westen ausgerichtete Glasveranda. Hinten ein separater Kücheneingang, dem die beiden sich jetzt auf dem glatten Weg vorsichtig nähern. Als sie nahe genug gekommen sind, sehen sie, dass die Küchentür einen Spaltbreit geöffnet ist.
    Nina hat Angst. Das sagt sie.
    »Dazu hast du aber keinen Grund. Außer uns ist hier kein Mensch.«
    Sie umrunden das Haus und bleiben stehen und betrachten die Fensterscheibe in der Glasveranda, die Rebekka eine Nacht zuvor eingeschlagen hat. Die Glasscherben bilden auf dem staubigen Boden dahinter ein Mosaik.
    »Komm!«, sagt sie. »Komm mit mir!«
    Sie gehen um das Haus zur Küchentür, die sie geöffnet hat und die jetzt in Wind und Wetter hin und herschlägt.
    Hallo? Tot. Stille. Siri Ljoen? Hier?
    Die drei Kleider finden sie im Mahagonischrank im ersten Stock. Die frisch gebügelte Bluse hängt wie ein schlaffes Segel an einem an einer Fensterangel befestigten Kleiderbügel. Keine von ihnen kann diesen Anblick noch ertragen. Sie müssen weg hier. Weg! Zurück zur Stadt und zu den Lichtern.

22
    Wie lange hatte sie nicht mehr geschlafen? Sie konnte sich nicht erinnern. Sie war wie benommen, und alle Glieder waren steif. Sie hatte erst bemerkt, wie es um sie stand, nachdem sie Nina zu dem leeren Haus zurückgefahren hatte, sie hatte »Schale« gedacht, eine verlassene Schale, es war so einsam und traurig, und natürlich hatten irgendwelche Bengel die Hauswand mit ihrer Ansicht über erwachsene Männer eingesprayt, die mit kleinen Jungen spielten. Die Fenster waren unversehrt, aber irgendwer hatte die Vogelgarbe abgerissen und mit Tritten über den Hof befördert. Traurig, und das Haus sah so tot und fremd aus. Hatten sie hier in Puter und Schwein gebissen, während Niels Petter lustige Anekdoten aus dem Leben eines Bauunternehmers in einer norwegischen Kleinstadt zum Besten gab? Hatte sie hier gesessen und über seinem Sitz aus grünem Kunststoff Wasser gelassen und dabei die Toilettengegenstände im Spiegelregal betrachtet, Rasierer, Marderhaarpinsel, die blaue Zahnbürste im Plastikbecher, die ganze Zeit mit dem Bild ihrer selbst, die auf der schweren Kellerluke hockte? Ja, hier, und zugleich nicht hier, es war so lange her, alles schien jetzt entsetzlich lange her zu sein. Sie hatten diese Ruine eines Heims betreten, sie hatte Nina dazu gezwungen, weg von den aufgemalten Worten an der Wand, den Anklagen, die wohl kaum von Kindern stammten, eher von erwachsenen Männern, darauf wies die Schrift hin. In der Diele waren sie stehengeblieben und hatten das rote Licht des Anrufbeantworters betrachtet, das ist er, jetzt findet sich alles, er war gescheit genug, um sich ein Hotel zu suchen, morgen ist ein neuer Tag, um Mitternacht morgen beginnt ein neues Jahr. Aber nichts, nein, fast nichts, nur dieses kurze Signal, ein dreimaliges Klicken mit einem Nagel gegen das Kunststoffmaterial des Telefons. Natürlich musste Nina wieder weinen, das musste sie doch, und Rebekka hatte Siri Ljoens Nähe mehr als nur geahnt, diesen Fischblick, kalt und abweisend, warum flennt die Kleine denn eigentlich, sie konnte diesen Blick nicht aushalten, sie musste sich zusammenreißen um sie nicht zu ohrfeigen. Sie hatte sie ins Bett gebracht, hatte sie mit Bitten und Drohungen ins Bett gebracht, dann die weiße Pille, schau her, jetzt hörst du mir zu, ich bleibe hier, bis du eingeschlafen bist. Du bist so lieb, sie kam sich so ungeheuer lieb vor, sie streichelte und streichelte die schweißnasse Stirn, während sie für die Puppe sang, die der Großvater auf den Weltmeeren bei sich hatte, für den kleinen Matrosen, der die Welt aus blau gläsernen Augen betrachtet hatte.
    Ich habe mein Versprechen gehalten. Bin bei ihr
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