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Die Puppe an der Decke

Die Puppe an der Decke

Titel: Die Puppe an der Decke
Autoren: Ingvar Ambjörnsen
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Großmutter in der Küche direkt auf der Ofenplatte buk, sah vor sich die riesigen Fäuste des Großvaters, die am nächsten Morgen hauchdünne Holzspäne zum Anzünden zurechtschnitten.
    Aber in dieser Nacht. In dieser Nacht erlebte sie, wie die Geborgenheit aus sich heraustrat, wie das Gute sich vor ihren Augen verwandelte, zu einem Ungeheuer wurde, einem lebendi-gen Albtraum. Darin lag eine Brutalität, die ihr Angst machte, es waren außer Kontrolle geratene Kräfte, die an dem alten Haus rissen und zerrten. Die Hitze brachte die Fensterscheiben zum Bersten, dumpfes Dröhnen drang aus dem Inneren des Gebäudes zu ihnen. Sie dachte an die Bäckerei und den Tabakladen, an die Flammen, die über die abgenutzten Holztresen huschten, über die Regale mit Broten und Brötchen, die Gestelle mit den Illustrierten, und vor allem dachte sie an das ächzende Geräusch der Tür zum Hinterzimmer des Tabakladens, wo der alte Mann hinter dem Tresen sich aufhielt, wenn keine Kundschaft im Laden war. Sie dachte, jetzt stirbt ein Geräusch im Dröhnen der Flammen, ein ganz normales kleines Geräusch, von dem ich nicht einmal wusste, dass ich es im Ohr habe, das weiß ich erst jetzt.
    Später hatte sie mehrere Stunden wach gelegen. Ihr Körper war aufgewühlt gewesen, und wenn sie die Augen schloss, dann wogte ihr das Flammenmeer entgegen. Sie legte die Hand in den Schritt, und am nächsten Morgen war sie eine andere.
    Wenn sie das unschöne Warenhaus betrachtete, dann glaubte sie, in der grauen Fassade den Umriss des stolzen alten Holzgebäudes zu erkennen. Der Kragstadhof tauchte vor ihr auf, so, wie er gewesen war, mit seinen Erkern, Türmchen und Drachenköpfen.
    Mir ist so schlecht, dachte sie. Mir ist so verdammt schlecht.
    Sie schloss das Auto ab und überquerte den Marktplatz in Richtung der Schwingtüren, die sich hinter Nina Granum und dem Kind schlossen.

6
    Der Fjord liegt still da. Ein Frachter hat die Mole verlassen und strebt fast lautlos auf den Rand des Blickfeldes zu. Vom Leuchtturm her ist das Nebelhorn zu hören, schwere Stöße in der Watte. Von den Dächern und Dachrinnen der Lagerhäuser tropft und sickert es.
    Der Hafen war immer Sperrgebiet gewesen. Hierhin ging man mit dem Großvater, aber niemals allein. Jetzt läuft sie am Hafenbecken entlang, und der alte Mann scheint sie zu begleiten. Auf halbem Weg zur Spitze liegt ein offenes Fischerboot, ein junger Fischer lädt Kästen mit Kabeljau und Seelachs ab, er spuckt braun ins Wasser, und sie sieht, wie ein Ölfleck in allen Farben des Regenbogens explodiert. Sie denkt: zerstörerisch und schön, wie der Brand, oder wie das, was brennend in meinem Hinterkopf liegt.
    Sie kauft einen Kabeljau, er liegt rot und schön in den Händen des Fischers, dann wird er in die Zeitung von gestern gewickelt. Sie bekommt ihn in einer weißen Plastiktüte, und als sie ihn entgegennimmt, spürt sie, dass der Fisch noch nicht tot ist, dass er unter ihren Händen seinen Körper anspannt; dort liegt er und ertrinkt langsam im Sauerstoff.
    Im Fønix war es halb voll, aber kein Holand hatte sich zum Mittagessen eingefunden. Es war kurz nach eins. Sie setzte sich wieder an den Tresen.
    »Und hier ist wie üblich Sherry angesagt?« Er kehrte ihr den Rücken zu, als er das sagte, sein Blick richtete sich auf das Spiegelregal.
    »Nein, ich glaube, das sollte nicht zur Gewohnheit werden. Lieber eine Kanne Tee.«
    »Mit einem Spritzer Zitrone vielleicht?«
    »Das klingt gut.«
    »Und einem Stückchen Kuchen?«
    »Nein, danke, ich habe eben erst gegessen.«
    Lachs und Rührei in der überfüllten Cafeteria des Warenhauses. Geschrei und Gebrüll und schlechte Luft, künstliche Blumen und überfüllte Aschenbecher. Sie hatte sich in die Nichtraucherabteilung gesetzt und halbwegs mit dem Gedanken gespielt, sich diese Unsitte abzugewöhnen. Im Zigarettenrauch auf der anderen Seite des Lokals saß Nina Granum mit Einkaufstüten und Kind, das Kind auf einem Kindersitz, die Einkaufstüten auf dem Boden, Niels Petter Holands Lebensgefährtin mit einer Filterzigarette im Mund und einer Kaffeetasse auf dem Tisch.
    Sie war schön. Klare Züge und hohe Wangenknochen, schön geschwungene Augenbrauen. Jung. Mitte zwanzig. Ein ganzes Leben lag vor ihr.
    Worüber redet ihr, Nina? Wenn das Kind gebadet ist und im Bett liegt? Was sagt ihr, wenn der rote Wein die Gläser füllt und ihr im Kamin in der Ecke Feuer gemacht habt? Wer ist Niels Petter Holand an einem ganz normalen Novemberabend? Und wer wirst
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