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Die Prophetin

Die Prophetin

Titel: Die Prophetin
Autoren: wood
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erzählt hatte. Grauen und Verzweiflung erfüllten mein Herz, denn mein geliebter Sigmund und unsere Kinder waren gestorben, ohne etwas vom ewigen Leben zu wissen. Und ich würde sie nie mehr wiedersehen.
    Ich weinte so bitterlich um den Verlust ihrer Seelen, daß die Tränen auf meinen Wangen zu Eis er-starrten. Schließlich konnte ich nicht mehr weiter. Ich legte mich in den Schnee und betete, daß die wilden Tiere meine Leiche verschonen würden. Als ich dem Tod nahe war, richtete ich ein Gebet an den Gerechten. Nach einer Weile spürte ich etwas in meiner Nähe. Ich schlug die Augen auf und sah einen Mann, der durch die Bäume auf mich zukam. An seiner Kleidung und der Axt erkannte ich, daß es sich um einen Holzfäller handelte. Aber ich fragte mich, wo sein Haus stehen mochte, denn es war ein Fremder, und ich kannte die Menschen in diesem Wald. Als er mich beim Namen rief – nicht meinem germanischen, sondern Sabina, da fragte ich mich erstaunt, wer er wohl sei. Er hob mich aus dem Schnee empor, meine Augen füllten sich mit Licht, und ich wußte sofort, daß er der Gerechte war, den ich vor so vielen Jahren am Salzmeer gesehen hatte. Ich erzählte ihm von meiner Verzweiflung, weil meine Familie für immer verloren war, und er sagte: »Vertraue auf deinen Glauben.«
    Ich fragte: »Was soll ich glauben, Meister?« Und er sagte: »Das Haus meines Vaters hat viele Wohnungen.« Er legte mir die Hand auf die Augen, und ich hatte eine Vision. Ich sah Sigmund und die ganze Familie. Sie waren nicht tot, und der weiße Schnee färbte sich nicht rot von ihrem Blut. Sie waren in unserem Dorf. Die Feuer brannten, am Spieß briet das Wildbret, und in den Bechern schäumte der Met. Sie waren glücklich. Die Erde war fruchtbar, und die Sonne schien warm. Ich wußte, sie waren dort für die Ewigkeit, denn an das freie Leben in den schützenden Wäldern hatten sie geglaubt.
    Nun verstand ich, was der Prediger auf dem Marktplatz in Antiochia vor vielen Jahren gemeint hatte, als er sagte: »Der Gerechte hat uns gelehrt: >Fürchtet euch nicht, glaubt nur. Und jeder gehe seinen Weg, denn das, was man geglaubt hat, wird einem widerfahrene«
    In diesem Augenblick wußte ich, daß alle meine Freunde, alle Menschen, die mich auf meiner Reise durch das Leben begleitet hatten, ohne sich dem Weg anzuschließen, nicht für immer tot waren, sondern leben. Meine lieben Schwestern, sie leben alle und jeder seinem Glauben gemäß: Satvinder in Schalimar, Philos in den elysischen Gefilden, mein Vater mit seinen Brüdern bei Mithras, und meine Mutter in einer der vielen Wohnungen des Gerechten. Und wenn mein geliebter Erstgeborener, mein Pindar, nicht länger auf dieser Erde weilt, dann hat er die ewige Freude seines eigenen Glaubens gefunden. Perpetua sagt, daß mich ein Erkundungstrupp gefunden und in die Garnison gebracht hat.
    Man dachte, ich sei tot. Dann hat man meinen Puls gefühlt und gesehen, daß ich atmete. Ich glaube, daß ich möglicherweise tot war oder am Rand des Todes stand. Aber mir wurde gestattet, noch einmal zurückzukommen, um der Welt diese Botschaft zu bringen. Wie leicht und mit welcher Freude kommt mir nach all den Jahren, in denen ich Sigmunds Sprache gesprochen habe, das Griechisch meiner Jugend über die Lippen! In dieser Sprache, der Sprache der Gemeinde und des Weges, sage ich Dir, liebe Amelia, daß mich der Gerechte vor dem Tod in den Wäldern gerettet hat, damit ich Dir die Botschaft verkünden kann: Wir sind alle Töchter und Söhne Gottes. Wir waren im Dunkel, und der Gerechte ist gekommen, um uns das Licht zu zeigen. Der Weg ist das Licht, und das Reich ist in uns, damit wir es finden und daran glauben.
    Der Gerechte hat uns vor langer Zeit gesagt, er werde wiederkehren. Und das Versprechen erfüllt er.
    Er ist zu mir zurückgekehrt, wie er zu uns allen zurückkehrt. Die Wiederkehr findet nicht an einem bestimmten Tag oder zu einer bestimmten Stunde statt, sie ist kein universales Ereignis, sondern ein persönliches. Es ist ein persönliches Erlebnis, dessen Zeitpunkt unser eigener wahrer Glaube bestimmt. Der Gerechte kommt zu jedem von uns auf eine andere Art zurück. Manche werden ihn vielleicht nicht erkennen, weil er keine menschliche Gestalt annimmt, anderen erscheint er als ein Prophet oder als der Gott, den sie kennen. Wieder anderen mag er als einer der Ahnen erscheinen oder als Engel, vielleicht auch einfach als ein Zeichen am Himmel. Und er wird sagen, daß wir alle die Kinder Gottes, seine
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