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Die Pilgerin

Titel: Die Pilgerin
Autoren: Iny Lorentz
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jeden Schmähruf gehen zu lassen.
    Als die Bayern außer Sicht waren, wandten sich die Leute wieder Sebastian zu. »Was sollen wir jetzt tun?«
    »Ein Teil von euch soll die Männer meines Freundes Starrheim verstärken, die Willingers Anwesen belagern. Der Rest kommt mit mir! Ich will endlich meinen Vater sehen!« Ohne zu warten, ob seine Anweisungen befolgt wurden, zog Sebastian seinen Hengst herum und ritt in Richtung des Rathauses, neben dem auch der Schuldturm stand, in den Otfried Willinger all jene eingesperrt hatte, die gegen ihn aufgestanden waren.
    Die Wachen des Turms hatten die Unruhen in der Stadt bemerkt und sich unauffällig verdrückt. Daher konnte Sebastian ungehindert das Tor öffnen. Tilla, die inzwischen ihren Umhang mit dem Pilgermantel vertauscht hatte, eilte an seine Seite und nahm seine Hand. Obwohl sie sich freute, dass Koloman Lauxnun aus dem Loch befreit werden würde, sah sie der Begegnung mit ihm etwas ängstlich entgegen. Was würde er dazu sagen, dass Sebastian und sie ganz gegen Sitte und Brauch den Bund fürs Leben ohne seinen Segen eingegangen waren? Würde er sie als Schwiegertochter anerkennen oder wie eine Bettmagd behandeln? In ihren Gedanken verstrickt stolperte sie auf der Treppe und wurde nur durch Sebastians rasches Zugreifen vor einem Sturz bewahrt.
    »Vorsicht, mein Liebes«, sagte er lächelnd.
    Tilla nickte mit blassen Lippen und gab nun besser Acht.
    Die Gefangenen schienen zu spüren, dass sich etwas Ungewöhnliches tat, denn sie klopften gegen die Türen und riefen um Hilfe.
    »Ihr kommt ja frei!«, schrie Sebastian gegen den Lärm an. »Doch zuerst sagt mir, wo ich meinen Vater finde!«
    »Sebastian? Bist du das?« Koloman Laux’ Stimme klang fester, als es nach den langen Monaten im Kerker zu erwarten gewesen war. Sein Sohn stürzte zu der Tür, zog den Riegel zurück und riss sie auf.
    Der alte Bürgermeister schloss die Augen, weil ihn die Fackeln blendeten, die Sebastians Begleiter mit sich trugen, öffnete sie dann weit und taumelte seinem Sohn schluchzend in die Arme. »Du bist tatsächlich zurückgekommen! Dank sei Gott Vater, Gott Sohn und allen Heiligen! Nur die Hoffnung, dich wiederzusehen, hat mich am Leben gehalten.«
    »Ja, Vater, ich bin zurück und ich habe auch schon aufgeräumt. Der größte Teil der Stadt ist unter Kontrolle. Nur die Abrechnung mit Otfried Willinger und seinen Kreaturen steht noch aus.«
    »Bei Gott, das klingt wunderbar! Mir ist kurz nach deiner Abreise klar geworden, dass du klüger gewesen bist als Damianund ich zusammen – und das hast du wohl jetzt bewiesen. Sag, hast du auch eine Spur von Tilla gefunden?« Das Letzte klang besorgt, ja fast verzagt, denn Laux machte sich große Vorwürfe, nicht rechtzeitig eingegriffen zu haben. Sein Sohn lachte hell auf und zog Tilla zu sich heran.
    »Ich habe nicht nur eine Spur von Tilla gefunden, sondern auch sie selbst, und damit sie mir nicht noch einmal entwischen kann, habe ich sie gleich geheiratet.«
    Das klang ganz nach dem Sebastian, den sein Vater gekannt hatte. Er seufzte tief, weil er an Damian denken musste, dem Tilla versprochen gewesen war, klopfte seinem Sohn jedoch auf die Schulter. »Das hast du gut gemacht.« Dann zog er Tilla an sich und hieß sie als Schwiegertochter willkommen.

V.
    Zu der Zeit, in der Sebastian das Stadttor gewann, saßen Otfried, Anton Schrimpp und der bayerische Kammerherr Georg von Kadelburg in der guten Stube des Willinger-Anwesens und ließen sich ein feudales Abendessen schmecken. Der Lärm, der sich ein paar Straßen weiter erhob, brachte Tillas Bruder dazu, kurz aufzusehen. Da er jedoch überzeugt war, dass seine Söldner mit jedem Aufruhr fertig würden, widmete er sich wieder dem gespickten Rehrücken.
    Kadelburg nahm seinen silbernen Weinbecher und wollte ihn zum Munde führen. Mitten in der Bewegung hielt er inne und fixierte Otfried mit einem tadelnden Blick. »Wir sollten die Sache endlich hinter uns bringen. Die Situation ist in meinen Augen nicht länger tragbar.«
    Anders als Otfried, der als Kaufherr den Handel eigentlich hättefördern müssen, dachte der bayerische Edelmann über den Wert Tremmlingens als Marktplatz nach, der unter dem jetzigen Regime bereits arg gelitten hatte. Ihm ging es jedoch weniger um den Verdienst der Kaufleute als vielmehr um die Steuern, die diese an Herzog Stephan zahlen sollten. Ging es mit der Stadt noch weiter bergab, wären die Bürger nicht mehr in der Lage, nennenswerte Summen aufzubringen. In dem
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