Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Phrrks

Die Phrrks

Titel: Die Phrrks
Autoren: Gert Prokop
Vom Netzwerk:
ihn völlig vergessen.
    Patricia hatte Kuchen und eine Flasche Rotwein mitgebracht.
    Nach dem zweiten Glas machte Emma ihrem Her-
    10
    zen Luft, sie merkte zu spät, wie entsetzt Patricia sie anstarrte.
    »Hast du das alles wirklich getan?« fragte Patricia, stand auf, um das schmutzige Geschirr in die Küche zu bringen, und murmelte leise: »Total plemplem, wird Zeit, daß die Alte in ein Heim kommt.« Nicht leise genug, Emma hatte es verstanden, sie nahm den Kuchenteller und warf ihn der Großnichte an den Kopf.
    »Mach, daß du rauskommst«, schrie sie mit sich überschlagender Stimme, »und wenn du glaubst, daß du so zu einer Wohnung kommst, hast du dich
    schwer geirrt.«
    Patricia schickte ihr am nächsten Tag den Notdienst auf den Hals. Der Arzt, ein junger, freundlicher Mann, untersuchte Emma sorgsam, prüfte Re-flexe, Augen, Gehör, ließ sie Fragebogen ausfüllen, Farbkleckse deuten und mit verbundenen Augen auf der Teppichkante entlanglaufen, dann beglück-wünschte er sie zu ihrer »blendenden Verfassung«, wie er sagte.
    »Geben Sie es mir schriftlich«, bat Emma.
    »Wozu?«
    »Man kann nie wissen.«
    Er versprach es, aber natürlich hielt er es nicht, und Emma hatte vergessen, sich seinen Namen zu notieren.
    Am Dienstag sah sie ein handtellergroßes kreis-11
    rundes Loch in der Fensterscheibe der Balkontür. Als sie aufstand, um es aus der Nähe zu betrachten, konnte sie nichts entdecken, nicht einmal die Spur einer Unebenheit im Glas; vom Sessel aus wirkte es wieder wie ein Loch. Vielleicht eine Spiegelung, dachte sie, nur wovon? Und warum hatte sie es noch nie bemerkt, alle Möbel standen seit Jahren auf dem-selben Fleck.
    Vielleicht wirst du wirklich plemplem, dachte sie.
    Am Mittwochmorgen war Pussy verschwunden.
    Dafür hockte auf der Zentralheizung eine Katze, ein niedliches Tier, gewiß, goldbraun mit weißen Haarspitzen, doch Emma wollte keine Katze, sie wollte Pussy. Sie untersuchte Türen und Fenster, alles fest verschlossen. Wie also konnte Pussy verschwinden, und wie war die Katze hereingekommen?
    Als Emma frühstückte und ganz in Gedanken das Weiße des aufgebackenen Brötchens auf einer Untertasse für den Goldhamster bereitstellte und Pussy rief, kam die Katze und fraß den Teller leer. Anschließend ging sie in die Ecke hinter dem Schrank und pinkelte in die Schale mit Sägespänen, sprang dann auf den Radiotisch und versuchte, ihren Kopf durch das zu kleine Loch in der Rückwand zu pressen. Schließlich gab sie auf und legte sich wieder auf die Heizung.
    In der nächsten halben Stunde rief Emma ein
    paarmal »Pussy«, jedesmal reagierte die Katze, auch 12
    wenn Emma den Namen mit abgewandtem Kopf
    oder ganz leise sagte. Verwirrte sich ihr Geist nun tatsächlich? Alt genug wäre sie. Vielleicht hatte sie die Katze schon lange, hatte nur früher einmal einen Goldhamster besessen?
    Sie holte das Fotoalbum aus dem Schrank. Patricia hatte ihr im vorigen Jahr eine Polaroid-Kamera geschenkt, und Emma hatte, daran erinnerte sie sich genau, gleich ihren Goldhamster fotografiert. Oder ihre Katze? Die Bilder waren nicht sehr scharf: die Farbe stimmte, und das Tier auf den Fotos sah eher wie ein Goldhamster aus, doch als Beweis waren sie wohl nicht gut genug.
    Emma holte die Kamera, nahm die Katze auf, be-wußt etwas unscharf, wartete, bis sich das Bild auf dem Papier zeigte, verglich dann das neue mit den alten Fotos: nein, da war kaum Ähnlichkeit. Sie fotografierte die Balkontür. Auf dem Bild zeichnete sich unzweideutig und gestochen scharf ein kreisrundes Loch ab! Emma überlegte, wem sie die Fotos zeigen könnte, und stellte seufzend fest, daß sie niemanden hatte, dem sie sich anvertrauen konnte. Ihr wurde wieder einmal bewußt, wie gottverlassen allein sie war. Wozu in aller Welt lebte sie eigentlich noch!
    Aber sie wußte nun wenigstens, daß sie nicht verrückt war.
    Nach dem Mittag nickte sie wie jeden Tag im Sessel ein, und als sie aufwachte und noch verschlafen 13
    über die Brille blinzelte, war sie sicher, daß sie doch verrückt war.
    Hinter dem Radio kam ein handgroßes blaues
    Männchen hervor, blickte zu ihr herüber, sprang dann vom Tisch, nein, schwebte langsam durch die Luft und verschwand durch das Loch in der Fensterscheibe.
    Du träumst, dachte Emma. Sie preßte die Lider zusammen und biß sich auf die Unterlippe, daß es schmerzte. Als sie die Augen wieder öffnete, schwebte gerade ein zweites blaues Männchen durch die Luft, kurz danach ein drittes, dann ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher