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Die Pest zu London

Die Pest zu London

Titel: Die Pest zu London
Autoren: Daniel Defoe
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konnten; denn die Gemüter der Leute wurden von anderen Dingen bewegt, und das brachte eine Art von Trauer und Grauen auch in die Gesichter des gemeinen Volkes. Der Tod stand ihnen vor Augen, und jeder dachte schon an sein Grab, nicht aber an Vergnügen und Zerstreuungen.
    Aber selbst solche heilsamen Gedanken, die, richtig verstan-40

    den, die Leute ganz natürlicherweise dazu geführt hätten, auf die Knie zu fallen, ihre Sünden zu bekennen und zu ihrem gnädigen Erlöser aufzuschauen und Ihn um Vergebung und Erbarmen in einer solchen Zeit der Not anzuflehen, so daß wir wie ein zweites Ninive hätten sein können, zeitigten beim niederen Volk einen Ausschlag nach der entgegengesetzten Richtung; so wie sie vorher tierisch gedankenlos dahingelebt hatten, so ließen sie sich jetzt, in ihrer Unwissenheit und Dummheit, von der Furcht zu den Extremen der Torheit treiben; und so liefen sie nicht nur, wie ich vorher schilderte, zu Zauberern und Hexen und allen möglichen Betrügern, um zu erfahren, was aus ihnen werden würde (diese fütterten ihre Furcht und hielten sie mit Absicht stets in Angst, um sie irrezuführen und ihnen die Taschen zu leeren), sondern waren ebenso verrückt hinter Quacksalbern und Marktschreiern und jedem kurpfuschenden alten Weib her, um Medizinen und Heilmittel zu bekommen; sie versorgten sich mit so großen Vorräten an Pillen, Tränken und sogenannten Abwehrmitteln, daß sie nicht nur ihr ganzes Geld dafür ausgaben, sondern sich, aus lauter Angst vor dem Gift der Ansteckung, schon vorher selbst vergifteten, auf diese Weise der Pest Vorschub leistend, anstatt ihr vorzubeugen. Auf der anderen Seite ist es unglaublich, ja kaum vorstellbar, wie die Pfeiler der Häuser und die Straßenecken über und über mit Plakaten und medizinischen Anzeigen beklebt waren; ganz unwissende Burschen, Kurpfuscher und Quacksalber, luden die Leute ein, bei ihnen Arzneien zu kaufen, und sie priesen sie mit solch blühenden Redensarten an wie: »Unfehlbar wirkende Vorbeugepillen gegen die Pest.«
    »Niemals versagendes Abwehrmittel gegen Ansteckung.«
    »Unübertreffliches Kräftigungspulver gegen die Verpestung der Luft.« »Genaue Anweisung für die Körperbehandlung im Falle der Ansteckung.« »Anti-Pestilenzpillen.« »Unvergleichli-cher Trank gegen die Pest, noch nie im Gebrauch gewesen.«
    »Ein Universal-Heilmittel für Pestkranke.« »Das einzig echte 41

    Pestwasser.« »Das königliche Gegenmittel gegen jede Art von Infektionen.« Und so noch viele mehr, daß ich sie nicht alle aufzählen kann; und wenn ich es könnte, so würde es ein ganzes Buch anfüllen, sie zu verzeichnen.
    Andere forderten auf Anschlägen die Leute auf, zu ihnen in die Wohnung zu kommen, um sich im Falle der Ansteckung Weisung und Rat zu holen. Sie gaben sich hochtrabende Titel, wie zum Beispiel: »Hervorragender Hoch-Niederländischer Arzt, kürzlich von Holland angekommen, wo er während der ganzen Zeit der großen Pest vorigen Jahres in Amsterdam weilte und eine Unzahl von Menschen geheilt hat, die tatsächlich von der Pest befallen waren.«
    »Italienische Adelsfrau, eben aus Neapel zugereist, im Besitz eines erlesenen Geheimmittels, um Ansteckungen zu verhindern, das sie durch ihre große Erfahrung erfunden hat und womit sie wunderbare Heilungen in der letzten Pest dortselbst bewirkte, in welcher an einem Tage 20 000 starben.«
    »Dame aus altem Adel, die mit großem Erfolg bei der vorigen Pest in dieser Stadt, Anno 1636, praktiziert hat, erteilt ihren Rat nur dem weiblichen Geschlecht. Sprechstunden –«
    und so weiter.
    »Erfahrener Arzt, der lange die Lehre von den Gegenmitteln gegen alle Arten von Vergiftungen und Infektionen studiert hat, ist nach 40 Jahren Praxis so weit fortgeschritten, daß er, mit dem Segen Gottes, Personen anleiten kann, die Berührung mit einer ansteckenden Seuche, welcher Art immer, zu verhindern. Behandelt Mittellose gratis.«
    Ich führe diese nur als Beispiel an. Ich könnte zwei oder drei Dutzend ähnliche angeben und hätte immer noch mehr als genug übrig. Es mag ausreichen, um jedem einen Eindruck zu vermitteln, wes Geistes jene Zeit war und wie eine Handvoll Spitzbuben und Taschendiebe die armen Leute nicht nur ausraubten und um ihr Geld betrogen, sondern sie obendrein mit abscheulichen und gefährlichen Tinkturen vergifteten; 42

    einige benutzten Quecksilber, manche wieder etwas anderes ebenso Schlimmes, das mit dem Zweck, für den es vorgeblich bestimmt war, gar nichts gemein hatte, und
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