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Die Perle

Die Perle

Titel: Die Perle
Autoren: Jack London
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Reichweite der Brandung heraus war.
    Sie wusste, wo sie war. Dieses Stück Land konnte nur die winzige Insel Takokota sein. Sie besaß keine Lagune. Niemand lebte dort.
    Hikueru war fünfzehn Meilen entfernt. Sie konnte Hikueru nicht sehen, aber sie wusste, dass es im Süden lag. Die Tage verstrichen und sie lebte von den Kokosnüssen, die sie über Wasser gehalten hatten. Sie versorgten sie mit Trinkwasser und Nahrung. Aber sie trank weder soviel, wie sie wollte, noch aß sie soviel. Rettung war fraglich. Sie sah die Rauchfahnen der Hilfsdampfer am Horizont, aber welcher Dampfer würde schon zu dem einsamen, unbewohnten Takokota kommen?
    Vom ersten Augenblick an wurde sie von den Leichen verfolgt. Das Meer versuchte hartnäckig immer wieder, sie auf ihr Stückchen Sand zu werfen, und sie blieb, bis ihr die Kräfte schwanden, hartnäckig dabei, sie wieder ins Meer zurück zu werfen, wo die Haie sie zerrissen und verschlangen. Als sie nicht mehr konnte, begannen die Leichen ihren Strand mit ihrem grausigem Schrecken zu überziehen und sie zog sich so weit wie möglich von ihnen zurück, was nicht weit war.
    Am zehnten Tag war ihre letzte Kokosnuss aufgebraucht und sie vertrocknete vor Durst. Sie schleppte sich auf der Suche nach Kokosnüssen den Strand entlang. Es war seltsam, dass so viele Leichen antrieben und keine einzige Nuss. Es mussten doch mehr Kokosnüsse herumschwimmen als tote Menschen! Schließlich gab sie auf und blieb erschöpft liegen. Das Ende war da. Es blieb ihr nichts mehr, als auf den Tod zu warten.
    Als sie aus ihrem Dämmerzustand wieder auftauchte, wurde sie sich nach und nach bewusst, dass sie ein Büschel rotblonden Haares auf dem Kopf einer Leiche anstarrte. Das Meer warf den Körper auf sie zu, zog ihn wieder zurück. Er rollte herum und sie sah, dass er kein Gesicht mehr hatte. Und dennoch kam ihr an diesem Büschel rotblonden Haares etwas bekannt vor. Eine Stunde verging. Sie strengte sich nicht besonders an, die Leiche zu identifizieren. Sie wartete auf den Tod, und es war ihr ziemlich gleichgültig, welcher Mann dieses entsetzliche Ding einmal gewesen war. Aber nach Ablauf einer Stunde setzte sie sich langsam auf und starrte den Leichnam an. Eine ungewöhnlich hohe Welle hatte ihn soweit an Land geworfen, dass die kleineren ihn nicht mehr erreichen konnten. Ja, sie hatte recht; dieses Büschel rotblonden Haares konnte nur einem Menschen in den Paumotus gehören. Es war Levy, der deutsche Jude, der Mann, der die Perle gekauft und auf der Hira mit sich fortgenommen hatte. Nun, eines war offensichtlich: Die Hira war gesunken. Der Gott der Fischer und Diebe des Perlenaufkäufers hatte ihn im Stich gelassen.
    Sie kroch hinab zu dem toten Mann. Sein Hemd war fortgerissen worden und sie konnte den ledernen Geldgürtel um seine Taille sehen. Sie hielt den Atem an und zerrte an den Schnallen. Sie gaben leichter nach, als sie erwartet hatte und sie kroch hastig über den Sand fort, den Gürtel hinter sich her schleifend. Tasche nach Tasche öffnete sie die Verschlüsse des Gürtels und fand sie leer. Wo konnte er sie hingetan haben? In der allerletzten Tasche entdeckte sie sie, die erste und einzige Perle, die er auf dieser Reise gekauft hatte. Sie kroch noch ein paar Meter weiter weg, um dem Pestgestank des Gürtels zu entkommen und untersuchte die Perle. Es war die, die Mapuhi gefunden und die ihn Toriki geraubt hatte. Sie wog sie in der Hand und rollte sie zärtlich hin und her. Aber sie sah nicht die ihr innewohnende Schönheit. Was sie sah, war das Haus, das Mapuhi und Tefara und sie so sorgfältig im Geiste gebaut hatten. Jedesmal, wenn sie die Perle ansah, sah sie das Haus in allen Details vor sich, einschließlich der achteckigen Pendeluhr an der Wand. Das war etwas, wofür es sich zu leben lohnte.
    Sie riss einen Streifen aus ihrem Ahu und knotete sich die Perle sicher um den Hals. Dann ging sie den Strand entlang, stöhnend und keuchend, aber fest entschlossen, Kokosnüsse zu finden. Bald hatte sie eine entdeckt, und als sie sich umsah, eine zweite. Sie brach eine davon auf, trank die Milch, die schimmlig schmeckte und aß das Fleisch bis zum letzten Brocken. Ein wenig später fand sie einen zertrümmerten Einbaum. Der Ausleger war verschwunden, aber ihre Hoffnung wuchs und bevor der Tag vorüber war, hatte sie auch den Ausleger gefunden. Jeder Fund war eine Verheißung. Die Perle ein Talisman. Spät am Nachmittag sah sie eine Holzkiste, die tief im Wasser schwamm. Als sie sie an Land
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