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Die Pension am Deich: Frauenroman

Die Pension am Deich: Frauenroman

Titel: Die Pension am Deich: Frauenroman
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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einem dünnen Lächeln. »Ja, dort wollte ich gern hinfahren. Aber das kommt jetzt doch – sehr überraschend.«
    »Das sollte es auch sein«, stimmt er ihr betont fröhlich zu. Das verunsichert sie noch mehr.
    Monika hatte sich zwei Wochen Urlaub genommen. Vor allem, um wieder zur Besinnung zu kommen. Nur weg von hier. Flüchten. Weil sie Angst vor ihren unberechenbaren Gefühlen hatte. Frank reagierte verständnislos. Sie wollten doch erst im Juni gemeinsam Urlaub nehmen. Und wohin sollte man in dieser Jahreszeit verreisen? Lass uns die Koffer packen und zum Flughafen fahren, hatte Monika mit dem Mut der Verzweiflung vorgeschlagen. Ihr Mann hatte sie angesehen, als hätte sie den Verstand verloren. Wenn er geahnt hätte, wie nah die Vermutung der Wahrheit kam, er wäre mitgekommen. Aber er war nicht zu bewegen. Wer weiß, wo wir landen, wehrte er die Idee ab. Ein kleiner Nordseeurlaub. Einfach so, hatte sie weiter gebettelt. Er hatte den Kopf geschüttelt und zu bedenken gegeben, dass jetzt der Garten Vorrang hatte. Ende April. Das wäre durch den ungewöhnlich langen Winter bereits spät genug. Diese wichtige Zeit ist im Garten das ganze Jahr nicht wieder aufzuholen. Und überhaupt Nordsee. Auf die Langsamkeit eines nordischen Küstenurlaubs im Frühjahr wollte er sich nicht einlassen. Schon gar nicht auf die Kälte. Das hatte Frank noch vor einer Woche geantwortet. Und nun dieser Anruf.
    »Das muss ich erst mal verdauen«, presst Monika hervor.
    »Gut, aber vergiss dabei nicht, zu packen. Morgen geht es los!«
    Der Kaffee ist schon wieder kalt. Monika lässt ihn stehen. Ihr ist der Appetit vergangen.
    Sie sieht wieder nach draußen. Ihre Nachbarin ist fertig mit ihrem Mittwochsritual und im Haus verschwunden. Eine junge Frau aus der Reihenhaussiedlung hastet mit einer Tortenplatte in den Händen und einer Tasche am angewinkelten Arm hängend, zu ihrem Auto. Ihre beiden Töchter laufen neben ihr her. Die eine ist im letzten Sommer eingeschult worden. Nele. Sie ist in Monikas Igelgruppe gegangen. Ein aufgewecktes, nettes Kind. Die jüngere Schwester ist knapp drei und bei ihnen angemeldet. Die Bepackte öffnet die Wagentür mit dem Ellenbogen. Das sieht abenteuerlich aus und Monika befürchtet schon, dass ihr die Torte entgleitet. Die Mädchen kabbeln und schubsen sich. Nele stolpert und fällt hin. Ihre Mutter schreit sie genervt an und treibt ihre eingeschüchterten Töchter auf die Autositze.
    Monika muss hart schlucken, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Sie kann sich selbst sehen. Ständig in Eile, um zum Ziel zu kommen. Ein Ziel, das sie nie definieren konnte, außer, dass es mit Ruhe und Erholung zu tun hatte, dem Gefühl und der Sehnsucht, Zeit für sich zu haben.
    Die hat sie jetzt. Und sie hat einen Kurzurlaub mit ihrem Mann vor sich. Allein. Das hat sie sich immer gewünscht und nun kann sie nichts damit anfangen. Das ist so verdammt gemein. Sie hätte noch ein wenig Abstand gebraucht. Gelegenheit, das Erlebte zu verarbeiten. Ohne Worte für verkrampfte Gespräche zu suchen und nicht auf ihre Gesichtszüge achten zu müssen. Einfach nur die Gedanken zu ordnen. Aber wie sollte sie ihm den plötzlichen Sinneswandel erklären? Vor ein paar Tagen hat sie ihn noch um eine gemeinsame Reise angebettelt. Frank hörte sich richtig übermütig an. Es erscheint ihr hundert Jahre her, dass sie ihn so lachen gehört hat. Sie möchte ihn nicht enttäuschen. Sie wird sich zusammenreißen, und vielleicht wird dieser ungeplante Urlaub das Beste, was ihnen beiden passieren kann.

Kapitel 4
     
     
    Anne reist mit dem Zug von Hameln an die Nordsee
     
    Sie ist zu früh am Bahnhof. Wie immer. Sie kann es einfach nicht leiden. auf den letzten Drücker anzukommen. Womöglich die Treppen hoch zu hetzen, um knapp vor dem Signalpfiff den Zug zu erwischen. Auf diese Art von Erfolgserlebnis kann sie gut und gerne verzichten.
    Anne setzt sich auf eine Bank in die Frühlingssonne. Dabei ist ihr klar: für diesen Genuss wird sie zahlen müssen. Gerade in Verbindung mit Sonnenstrahlen reagiert sie auf die Pollenbelastung besonders aggressiv. Anne hebt ihr Kinn. Was soll’s. Sie will endlich Wärme und frische Luft. Instinktiv prüft sie noch einmal den Inhalt ihrer Jackentasche. Ja, sie hat das Cortison eingesteckt. Vielleicht wird sie es gar nicht brauchen. Aber diese Sicherheit, es jederzeit nehmen zu können, ist für sie wichtig. Lebenswichtig, seit sie ihren ersten Asthmaanfall hatte.
    Am Meer wird sie keine Luftnot
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