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Die Pension am Deich: Frauenroman

Die Pension am Deich: Frauenroman

Titel: Die Pension am Deich: Frauenroman
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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Frank
     
    Monika schenkt sich einen frischen Kaffee ein. Bevor sie sich wieder an den Tisch setzt, schaut sie aus reiner Gewohnheit aus dem Fenster. Mittwoch, denkt sie. Wir haben Mittwoch. Die Nachbarin schräg gegenüber bearbeitet gerade ihre Haustür mit einem Tuch. Gleich wird sie genauso intensiv den Briefkasten reinigen und zum Schluss die beiden Stufen der Außentreppe. Das macht sie jeden Mittwoch. Komme da, was wolle. Ob sie einen Kalender hat und ihre Hausputzaktionen akribisch abhakt? Wahrscheinlich braucht sie den nicht mehr. Sie hat diesen Rhythmus längst verinnerlicht. Sie weiß schon beim Aufwachen, ob heute die Fenster, der Garten, die Küche oder die Tür mit Putzen an der Reihe sind. Vielleicht fällt ihr das sogar früher ein als der Name des Wochentages. Schon verrückt. Monika ist erst durch die zwanghafte Regelmäßigkeit ihrer Arbeitsvorgänge auf sie aufmerksam geworden. Ohne es zu wollen, hat sie manchmal über ihre Nachbarin nachgedacht. Sie ist nicht berufstätig und hat keine Kinder. Zu ihr gehört ein Mann, der genauso zuverlässig funktioniert. Ziemlich sicher arbeitet er im Schichtdienst. Wenn er mit dem Auto aus der Garage fährt, steht sie in der Haustür. Freundlich lächelnd. Wie fast immer. Kein breites, strahlendes Lächeln. Es ist nur wie auf ihr Gesicht gehaucht.
    Sie steht in der Tür und winkt ihm mädchenhaft scheu hinterher, bis er und sein Auto außer Sichtweite sind. Danach zieht sie sich sofort ins Haus zurück. Dieses Bild erinnert Monika immer an Filme aus den fünfziger Jahren.
    Was fühlt diese Frau? Wie füllt sie überhaupt ihr Leben? Reichen ihr diese starr strukturierten Abläufe in Heim und Garten?
    Monika verlässt ihren Beobachtungsposten und setzt sich. Sie greift nach der Tageszeitung. Was zerbricht sie sich den Kopf über eine Fremde, von der sie gerade mal den Nachnamen kennt? Außer ein paar höflichen Wetterkommentaren hat sie sich nie mit ihr unterhalten. Also, warum fantasiert sie sich deren Lebenseinstellung zusammen? Nichts ist, wie es scheint. Das hat sie gerade selbst schmerzhaft erfahren müssen. Niemals hätte sie damit gerechnet, dass sie sich in einen anderen Mann verlieben könnte. Niemals. Der Gedanke erscheint ihr immer noch fremd, wie nicht zu ihr gehörend. Und er beschämt sie. Vor allem, wenn sie an das Ende dieser Gefühlsverirrung denkt. Das war mehr als geschmacklos. Wie hat sie sich so täuschen können? Fehlen ihr für Männer jegliche Instinkte? Ist sie mit ihren vierundvierzig Jahren naiver als ein junges, unerfahrenes Mädchen?
    Die Gefühle für Erik haben sie wie ein Blitz aus dem sogenannten heiteren Himmel getroffen. Monika ist sich nicht mehr sicher, ob er wirklich heiter war. Sie weiß überhaupt nichts mehr. Wie soll sie auch? Sie ist über zwei Jahrzehnte in einem ruhig dahinfließenden Wasser geschwommen. Ihr Leben ist übersichtlich verlaufen. Durchgeplant. Anders hätte es gar nicht funktioniert. Da braucht sie sich keine Vorwürfe zu machen.
    Sie war dreiundzwanzig, als sie schwanger wurde. Zwillinge. Und das nach ein paar Monaten Zusammensein mit Frank. Sie hatte nicht im Traum daran gedacht zu heiraten oder schon Kinder zu bekommen. Monika hatte gerade angefangen, als Erzieherin zu arbeiten und wollte studieren. Sozialpädagogin. Schlagartig war alles anders. Die Zukunftspläne mussten neu sortiert werden. Hatte Frank ähnlich empfunden? Hatte er auch ganz andere Träume für seine Zukunft und musste sich neu zurechtfinden? Diese Fragen stellt Monika sich zum ersten Mal. Warum haben sie nie darüber gesprochen? Frank erschien wie ein Fels in der Brandung. Damals schon. Falls er Zweifel oder Ängste hatte, dann hat er sie gut verborgen. Im Verbergen ist er ein Meister. Monika hatte ihre Furcht laut ausgesprochen. Immerhin war sie Erzieherin und sozusagen vom Fach. Eine Beziehung musste intakt sein, um Nachwuchs aufzunehmen. Nicht umgekehrt. Den Denkfehler hatte sie oft genug bei Eltern beobachten müssen. Frank hatte sie beschwichtigt. Völlig ruhig, als wäre er Herr der Lage, hatte er sie heruntergefahren wie einen überdrehten Motor. Auch darin war er schon immer gut. Kinder passen nie, hatte er gesagt. Sie würden das schaffen. Schaffen. Ja, geschafft haben sie es. Sie sind gute Eltern geworden. Glaubt sie jedenfalls. Jana und Jonas scheinen auf der richtigen Spur gelandet zu sein. Soziale Kontakte, keine Drogen. Verdammt, wenn sie wenigstens eine anständige Pubertät gehabt hätten. Dann wäre es vielleicht
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