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Die Pension am Deich: Frauenroman

Die Pension am Deich: Frauenroman

Titel: Die Pension am Deich: Frauenroman
Autoren: Sigrid Hunold-Reime
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einer Ehe mit Routinegesprächen über den nächsten Tapetenwechsel oder die Zensuren der Kinder möglich gewesen wäre.
    Dann ist Gerold gestorben, und ich dachte, dass ich mich von Paul auch trennen müsste. Unsere spezielle Beziehung basierte auf dem gegenseitigen Akzeptieren unserer Ehen und duldete keinerlei Grenzüberschreitungen. Unsere Gefühle hielten sich nur in Waage, solange jeder von uns verheiratet war, so habe ich gedacht. Ich wollte Schluss machen. Teresa war damals hier in der Pension der einzige Gast, und wir haben eine Nacht lang miteinander geredet. Sie war der erste Mensch, dem ich alles erzählt habe. Die ganze Wahrheit über meine Ehe. Tut mir leid, Juliane, mit dir kann ich das nicht. Fang jetzt keine Diskussion über mangelndes Vertrauen an. Es geht nicht. Du bist meine Tochter. Du hast selbst eine. Ihr würdest du auch nicht deine Beziehungsprobleme auftischen, oder?
    Teresa fand meine Mittwochstreffen mit Paul faszinierend. Sie sagte, das hat so viele Jahre gehalten. Das kannst du nicht einfach so beenden. Das klingt wie Liebe.
    Tomke schenkt sich die erste Tasse mit starkem, dunklem Tee ein. Sie trinkt ihn gern schwarz, ohne Kandis und Sahne.
    Ich habe auf Teresa gehört und mit Paul gesprochen. Er reagierte anders als erwartet. Er hatte überhaupt keine Angst vor der veränderten Situation. Er wollte sich weiterhin mit mir treffen. Nicht nur einmal in der Woche, auch spontaner. Auch mal über Nacht. Das war das Schönste. Neben ihm aufzuwachen und mit ihm den Morgen zu erleben. Das hätte ich nie tun dürfen. Irgendwann fielen die Worte: für immer zusammen sein und ein gemeinsamer Neuanfang. Ich erinnere mich nicht, wer von uns beiden das laut ausgesprochen hat. Ich habe daran geglaubt. An eine gemeinsame Zukunft. Es gab auch keinen Grund, zu zweifeln. Dachte ich. Dabei habe ich geträumt. So sehr, dass ich die Realität einfach nicht mehr sehen konnte, nicht mehr sehen wollte. Ich habe die Zeichen stur übersehen. Paul hat zum Beispiel weiterhin die Feiertage und Sonntage bei seiner Frau verbracht. Auch seinen Urlaub. Wie konnte ich mir das nur schönreden? Ich habe so getan, als würde es die Andere gar nicht geben. Ich, die vernünftige Tomke! Warum bin ich nicht stutzig geworden, als er kurzfristig die Reise in die Krummhörn abgesagt hat? Wir wollten gemeinsam den Pilsumer Turm besichtigen. Wir wollten dort heiraten. Wir? Wahrscheinlich nur ich! Wie konnte ich eine Hochzeit mit einem noch verheirateten Mann planen? Wenn ich mir das bewusst mache, fühlt sich alles fremd und kitschig an. Ich kann mein eigenes Verhalten nicht mehr verstehen. Wie soll ich es dann dir erklären, Juliane. Unmöglich.
    Vor drei Wochen hat Paul vor mir gestanden. Er sah blass aus. Ich wollte nicht, dass er anfängt zu reden. Ich habe versucht, ihm den Mund zuzuhalten. Denn als ich ihn sah, wusste ich, was er sagen wird. Paul wirkte so beängstigend entschlossen.
    »Wir wollten uns immer die Wahrheit sagen«, fing er an. »Zwischen uns sollte es anders sein. Das haben wir uns vorgenommen, nicht wahr?«
    Ich konnte nur stumm nicken.
    »Aber jetzt ist es nur noch ein einziges Lügennest. Ich wollte dich nie belügen. Das musst du mir glauben. Als die erste Lüge ausgesprochen war, hat sie immer neue hinter sich hergezogen. Du hast dich auf unsere gemeinsame Zukunft gefreut. Das wollte ich nicht zerstören. Du warst so glücklich. Das hat mich auch glücklich gemacht und gleichzeitig traurig. Ich habe mir vor jedem Treffen vorgenommen, mit dir zu sprechen, mit dir reinen Tisch zu machen. Ich habe es immer wieder verschoben. Ich kann meine Frau nicht verlassen. Verstehst du, Tomke. Ich kann meine Frau nicht allein lassen. Sie würde ohne mich nicht zurechtkommen. Sie ist so hilflos. Sie wäre verloren. Deshalb könnte ich nie wirklich glücklich mit dir werden. Ich würde mich immer verantwortlich und schuldig fühlen. Aber ich möchte dich nicht verlieren. Können wir nicht weiter wie …«
    Da habe ich angefangen zu schreien: »Nein! Nein! Nein!« und ihn rausgeschmissen.
    Tomke fährt sich mit der Hand durchs Haar. Sie zuckt vor dem ungewohnt borstigen Gefühl zurück, als hätte sie einer Fremden über den Kopf gestrichen. Hilflos, denkt sie wütend. Wenn sie das schon hört. Sie fühlt sich gerade mehr als hilflos. Sie hat absolut keine Ahnung wie sie ohne ihn weiterleben soll. Aber Paul hat es sehr wohl geschafft, sie zu verlassen. Verantwortung! Was für ein feiges Gefasel! Er hat ihr gegenüber auch
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