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Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe

Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe

Titel: Die Pellinor Saga Bd. 1 - Die Gabe
Autoren: Alison Croggon
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lehnte sie die Stirn an die warme Seite einer dunkeläugigen Kuh, die geduldig dastand und wiederkäute, während Maerad ihr pralles Euter knetete. Die Milch spritzte gleichmäßig in den Eimer. Maerad stand dicht davor einzunicken, als die Kuh sie beinahe trat und sich aufzubäumen versuchte. Ruckartig war Maerad hellwach, rettete den Eimer - verschüttete Milch bedeutete Prügel -und bemühte sich, das Tier zu beruhigen. In der Regel reichte dafür ein Wort von ihr, doch diesmal schnaubte und stampfte die Kuh weiter und zerrte an den Ketten, die ihr Hinterbein und ihren Kopf fesselten, als fürchtete sie sich. Maerad sträubten sich die Nackenhaare. Ein sonderbares Gefühl der Beklommenheit beschlich sie, so als braute sich ein Sturm zusammen. Die Luft schien vor Spannung zu knistern. Maerad blickte sich im Stall um.
    Keine zehn Schritte entfernt stand ein Mann - ein Mann, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Einen Lidschlag lang stockte ihr vor Schreck der Atem. Der Mann war groß und besaß ein kantiges Gesicht, das im Schatten einer dunklen Kapuze aus rauer Wolle verborgen lag. Im trüben Licht, das durch den Eingang hereindrang, erkannte sie den Umriss einer Adlernase und das Funkeln der Augen. Maerad stand auf, griff nach einem Kienspan und wusste nicht recht, ob sie um Hilfe rufen sollte. »Wer seid Ihr?«, verlangte sie in scharfem Tonfall zu erfahren.
    Der Mann schwieg.
    Ihr wurde mulmig zumute. »Wer seid Ihr?«, wiederholte sie. War es ein Werwesen aus den Bergen? Ein Geist? »Hinfort, schwarzer Geist!«
    »Nein«, sprach der Mann schließlich. »Nein, ich bin kein schwarzer Geist. Kein Werwesen in Menschengestalt. Nein. Verzeih.« Er seufzte schwer. »Ich bin müde und verwundet. Ich bin nicht ganz … ich selbst.«
    Er lächelte, doch es glich eher einer Grimasse, und als der Kienspan die Kapuze erfasste und seine Züge erhellte, sah Maerad, dass sie bleich vor Erschöpfung waren. Sein Gesicht fesselte sie: Es schien weder jung noch alt zu sein, das Antlitz eines vielleicht fünfunddreißigjährigen Mannes, aus dem dennoch die Autorität des Alters sprach. Er besaß hohe Wangenknochen, einen festen Mund und große, tief in den Höhlen ruhende Augen. Unbeirrt erwiderte er ihren Blick. »Und wer bist du, junge Hexenmaid? Es bedarf scharfer Augen, um meinesgleichen zu sehen, obwohl mich vermutlich meine Kunst im Stich lässt. Nenn mir deinen Namen.«
    »Wer seid Ihr, mich danach zu fragen?«, entgegnete Maerad kampflustig. Mit jäher Überraschung wurde ihr klar, dass sie keine Furcht verspürte; obwohl sie sich, wie sie in jenem flüchtigen Lidschlag dachte, eigentlich fürchten sollte.
    Der Mann musterte sie eindringlich, suchte ihr Gesicht ab. Er taumelte leicht, fand das Gleichgewicht wieder und lächelte erneut, als wollte er sich entschuldigen. »Ich bin Cadvan aus der Schule von Lirigon«, antwortete er. »Und nun, Fräulein, wie nennt man dich?«
    »Maerad«, gab sie beinahe flüsternd zurück. Mit einem Mal fühlte sie sich völlig verunsichert und verwirrt durch seine Höflichkeit.
    »Maerad aus den Bergen?«, fragte der Fremde mit einem süßsauren Lächeln. »Maerad aus … aus Gilmans Feste«, berichtigte sie ihn stockend. Dann fügte sie hastig hinzu: »Ich bin Sklavin hier …« »Eine Sklavin?«
    Draußen ertönten Schritte, und Lothars fülliger Leib verdunkelte den Eingang. »Wo bleibt die Milch? Was tust du denn hier drin, hast du den Verstand verloren? Ist dir nach der Peitsche zumute? Wenn die Butter nicht richtig wird, dann wissen wir, wer Schuld ist…«
    Nach dem Rüffel, den er an jenem Morgen von Maerad erhalten hatte, zeigte er sich ihr gegenüber wenig wohlwollend. Doch nicht deshalb stockte Maerad neuerlich der Atem. Vielmehr deshalb, weil Lothar, obwohl der Fremde mitten in seinem Sichtfeld stand, geradewegs durch ihn hindurchzublicken schien.
    »Es… es tut mir leid«, stammelte sie. »Die Kühe sind unruhig …«
    Sie hockte sich auf ihren Schemel und beugte sich wieder zu der Kuh vor, die nunmehr geduldig dastand. Lothar beobachtete eine Weile, wie sie molk. Maerad wünschte sich inbrünstig, er möge gehen. Bald darauf hörte sie, wie seine Schritte sich entfernten, und sie entspannte sich ein wenig. Trotzdem molk sie weiter, zumal sie Zeit brauchte, um ihre Gedanken zu ordnen. Der Fremde stand nach wie vor dort und beobachtete sie.
    »Maerad«, sprach der Mann leise. »Ich will dir nichts tun. Ich bin müde und brauche Schlaf. Deshalb bin ich hier.« Er fuhr sich mit
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