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Die Peitschenbrüder

Die Peitschenbrüder

Titel: Die Peitschenbrüder
Autoren: Horst Hoffmann
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umklammerte den Griff des Gläsernen Schwertes. »Wir werden an Land gehen, Kalathee«, sagte er. »Hier. Ich will wissen, was aus den Bewohnern der Stadt geworden ist, und ich will keinen Gegner im Rücken haben, den ich nicht kenne.«
    Die Frau schwieg. Mythor löste sich behutsam von ihr, verließ den Bug und griff in das Ruder. An verlassenen Schiffen und Booten vorbei glitt die Kurnis in den Hafen.
    Und jeder der Gefährten schien zu spüren, dass das, was über Lockwergen und seine Bewohner gekommen war, schrecklicher war als alle Magie aus der Dunkelzone, die sie auf ihrem Weg hierher kennengelernt hatten.
    Der klare Himmel lag wie ein schillerndes Leichentuch über der Stadt, als die Kurnis anlegte.
    *
    Nur zögernd verließen die vier das Schiff. Die Beklommenheit, die sich ihrer bemächtigt hatte, schien ihre Schritte zu lähmen. Irgend etwas in Mythor schien zu sagen: »Nicht weitergehen! Kehrt um, bevor es zu spät ist!«
    Das Gläserne Schwert Alton funkelte in Mythors Hand. Kalathee und Sadagar waren dicht hinter ihm. Nottr bildete den Abschluss. Sie gingen den Pier entlang, blickten immer wieder hinüber zu den verlassenen Schiffen, die aus allen Teilen der Welt stammen mussten. Die meisten waren Handelsschiffe, möglicherweise noch mit wertvoller Fracht an Bord. Niemand war da, um sie zu löschen oder Tauschgüter zu bringen. Immer stärker wurde der Eindruck, als habe sich eine unsichtbare Glocke entsetzlicher Stille über Lockwergen gestülpt und jede Regung des Lebens unter sich erstickt. Aber die vielen tausend Bewohner der Stadt, die hier einst arbeiteten und lebten, konnten doch nicht einfach von einem Augenblick zum andern verschwunden sein - und doch sah es genauso aus, und dieser Eindruck verstärkte sich nun, als Mythor durch die Gassen des Hafenviertels schritt, durch offene Fenster und Türen in leere Räume spähte und verschlossene Türen mit Alton aufbrach.
    Es wirkte, als sei alles Lebendige gerade in diesem Augenblick verschwunden. Es gab keine Anzeichen von Flucht, Panik oder einer Katastrophe. Alles - bis auf das Fehlen von Leben und die unheimliche Stille - wirkte völlig normal.
    Kalathee beherrschte sich tapfer. Sie ging an Mythors Seite, und sie würde mit ihm durch alle Höllen gehen, nur um bei dem Mann zu sein, in den sie unsterblich verliebt war. Sadagar redete leise vor sich hin, wohl um wenigstens den Klang seiner eigenen Stimme neben den Schritten der Gefährten hören zu können.
    Was war über Lockwergen gekommen? Das wenige, was Mythor bis jetzt von der Stadt gesehen hatte, reichte aus, um sich eine Vorstellung zu machen, dass sie einst Sitz und Ausgangspunkt von Handel, Wandel und Zufriedenheit gewesen war. Die Menschen, die hier gelebt und gelacht, gefeiert und getrunken hatten, mussten glücklich und ohne Sorgen gewesen sein. Eine solche Stadt entwickelte sich in Zeiten des Friedens. Es gab keine Berge von Unrat, keine beschmutzten Hauswände. Jedes einzelne Haus musste der Stolz seines Besitzers gewesen sein. Eine solche Stadt verließ man nicht freiwillig.
    Die Gefährten erreichten einen großen Park hinter dem Hafenviertel. Blühende Bäume und Blumen, wie die vier sie noch niemals gesehen hatten. Bänke um einen Springbrunnen gruppiert. Auf der anderen Seite gab es Geschäfts- und Wirtshäuser. Im Westen ragten die Türme eines Palastes in den klaren Himmel.
    Mythor deutete mit dem Schwert auf eines der Wirtshäuser. »Wir werden jeden Winkel der Stadt durchsuchen, bis wir etwas gefunden haben, und wir beginnen dort.«
    Nottr nickte grimmig. Sadagar, der offensichtlich gehofft hatte, dass Mythor seinen Entschluss doch noch ändern und die Rückkehr zum Hafen befehlen werde, wollte protestieren, doch sah er ein, dass er damit nichts erreichen würde. Kalathee würde bei Mythor bleiben und Nottr ebenfalls.
    Die Gefährten hatten den Springbrunnen im Zentrum des Parks noch nicht erreicht, als sie das Geräusch hörten. Mythor erstarrte mitten in der Bewegung.
    »Was war das?« fragte Kalathee flüsternd. »Es...«
    »Still!« Mythor sah sie nicht an. Sein Blick war starr in die Richtung gerichtet, aus der der Laut gekommen war.
    Aber die anderen hatten es auch gehört. Lebte doch noch etwas in dieser Geisterstadt?
    Da war es wieder. Ein leises, ersticktes Weinen in der absoluten Stille. Es kam von einer Häusergruppe zur Rechten.
    »Aber das ist. ein Kind!« entfuhr es Sadagar.
    Und Kinder waren es bestimmt nicht gewesen, die Lockwergen entvölkert hatten. Der
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