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Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit

Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit

Titel: Die Parallelklasse - Ahmed ich und die anderen - Die Luege von der Chancengleichheit
Autoren: Patrick Bauer
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stellen wollte. Jetzt, als er vor mir sitzt, fällt mir keine Einzige ein. Ich denke immerzu an diesen 17 Millimeter großen Fleck, den meine Freundin auf dem Ultraschallbild gesehen hat. Ich denke an die nächsten Wochen, die nächsten Monate, die nächsten Jahre, den Rest meines Lebens. Unseres Lebens, muss es nun wohl heißen.
    »Was ist los mit dir?«, fragt Ahmed. »Tut mir leid«, sage ich, »ich bin ein bisschen durcheinander. Ich habe heute erfahren, dass ich Vater werde.«
    Ahmed haut mir auf den Rücken, dass mir der Erdbeerkuchen wieder hochkommt.
    »Geile Sache, Alter. Willkommen im Club! Junge oder Mädchen?«
    »Ich glaube, das weiß man noch nicht.«
    »Stimmt, das dauert. Ich bete für dich, dass es ein Junge wird, man braucht auf jeden Fall einen Jungen. Deswegen müssen meine Frau und ich bald ein zweites Kind machen. Ich liebe mein Mädchen, aber ich brauchen einen Sohn!«
    »Warum?«
    »Was stellst du wieder für Fragen, Alter! Warum, warum, warum? Weil! Damit ich einen Nachfolger als Familienoberhaupt habe. Damit ich am Wochenende auf den Fußballplatz gehen kann statt zum Ballett. Damit ich später jemanden zum Abhängen und Wasserpfeiferauchen habe. Damit es jemanden gibt, der meinen beschissenen Hof übernimmt.«
    »Welchen Hof denn?«
    »Den beschissenen Bauernhof, den ich nicht habe. Mann, du Superchecker, ich bin ein Anatole, wir sind Bauern, das wird man nie los!«
    Ahmeds Selbstironie, wie eh und je, bringt mich zum Lachen, zum ersten Mal an diesem Tag, den ich wie betäubt erlebe.
    »Alter«, sagt Ahmed, »ich sage immer: Jungs machen Jungen und Männer machen Mädchen. Wenn ich mir dich so anschaue, wird’s ein Junge, keine Sorge!« Diese Sorge gehörte noch gar nicht zu den vielen Sorgen, die ich mir mache. Ahmed beobachtet mich belustigt. »Wahnsinn, ich glaubs nicht, der kleine Patrick wird Vater! Als ich vor drei Jahren die Nachricht von meiner Frau bekam, habe ich zwei Tage Paranoia geschoben. Bin gar nicht nach Hause gegangen. Schau dich an, kreidebleich bist du! Wir sollten was anderes als Kaffee trinken!«
    Wir laufen ein paar Querstraßen weiter, »in mein Stammcafé«, sagt Ahmed. Sein Stammcafé ist eigentlich ein Spielcasino. Der vordere Raum ist vollgestellt mit blinkenden Automaten. Im Hinterzimmer stehen zwei Sofas und eine beeindruckende Sammlung von Wasserpfeifen. »Son Durak«, der Name des Cafés, bedeutet übersetzt »ohne Ende«. Die Nächte nehmen hier kein Ende, weil Ugur, der Betreiber, den Ahmed als »mein bester Türke« vorstellt, im »Son Durak« lebt, obwohl er auch noch eine kleine Wohnung nicht weit von seinem Café hat. Doch er schließt das Son Durak meist nur zwischen sieben und zehn Uhr morgens und legt sich kurz in der kleinen Bürokammer ab oder zockt weiter Autorennen auf der Playstation, die glüht, weil seine Gäste gerne gegen Ugur Rennen fahren, wenn sie nicht vor den Automaten sitzen oder zur Erholung ein paar Züge Apfeltabak aus der Wasserpfeife nehmen.
    »Ohne Ende«, sagt Ahmed, »kann man hier alles machen. Ohne Ende ist nicht immer gut, das kannst du mir glauben!« Ugur sagt: »Ahmed hat Automatenverbot. Er spielt zu gut. So gut, dass er denkt, er könnte meine Automaten leer machen, dabei macht er nur seinen Geldbeutel leer, das schwöre ich dir. Bei anderen Gästen würde ich nichts sagen, aber Ahmed ist wie ein Bruder, ich will nicht, dass ein Bruder pleite geht.« Ahmed sagt: »Hör mir auf mit Bruder, Ugur. Alter, ich habe mit meinem Bruder schon genug zu tun, ich brauche nicht noch einen!«
    Ugur, ein kleiner Mann mit Stoppelfrisur, dessen Gesicht die trübe Farbe der Monitore in seinem Café angenommen hat, sitzt auf einem Hocker auf dem Gehweg. Es ist noch zu heiß an diesem Sommertag, um im Hinterzimmer des Son Durak zu versacken. Neben Ugurs Hocker liegen Zigarettenstummel und die Schalen der Sonnenblumenkerne, die er knabbert, wenn er gerade keine Kippe im Mund hat. Einige Männer, die Jungs geblieben sind, stehen um Ugur herum und drücken gelangweilt auf ihren Mobiltelefonen herum. Immer mal wieder erzählt Ugur kurze Geschichten, die witzig sein müssen, denn die Jungs blicken dann von ihren Telefonen hoch und lachen sehr laut. Ugur erzählt seine Geschichten auf Türkisch, nur manchmal höre ich ein paar deutsche Begriffe aus den hastigen Sätzen heraus: »Antragsformular« oder »Kosten-Nutzen-Rechnung«, »Geschwindigkeitsbegrenzung« oder »Hausverwaltung«. Es sind Begriffe, die im Türkischen offenbar nicht
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