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Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)

Titel: Die Ordnung der Sterne über Como: Roman (German Edition)
Autoren: Monika Zeiner
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Schleppe.
    »Jetzt«, rief sie aus der Badezimmertür, »aber du musst zugeben, es wäre witzig.«
    »Was?«
    »Sich alle zehn Jahre zu treffen.«

MORGEN FRÜH AM HAFEN
    Der Kellner wunderte sich über die halbvollen Teller, die das offenbar appetitlose Paar kommentarlos, mit einem stummen Nicken, zurückgehen ließ. Er wusste nicht, sollte er Mitleid mit ihnen haben. Er lächelte nachsichtig. Vergeht auch wieder, mochte er denken, und brachte die Rechnung.
    Sie zahlten aber nicht. Sie blieben sitzen, die Gedanken ineinandergefaltet, umschlossen von der engen Schale des Augenblicks. Die Rechnung lag unangetastet vor ihnen auf dem Tisch. Dem Kellner wurde ihr Anblick zu eigenartig, und er brachte noch eine Karaffe Rotwein. Also tranken sie. Das wenige, das sie einander sagten, war belanglos. Erst als das Restaurant sich fast geleert hatte und schon die Stühle kopfüber auf den Tischen saßen, zahlten sie und gingen hinaus.
    Es war eine milde, mit Licht verdünnte Nacht. Sie liefen zögernd hinein wie in einen vergangenen Tag. Und als Betty darüber nachzudenken begann, wohin sie jetzt sollten, fiel ihr Blick auf Toms Gesicht unter einer Straßenlaterne und auf sein Gesicht hinter einer Glasscheibe, einem von Fliegendreck verschmierten Autofenster, und vor einem Küchenfenster zu einem grauen Berliner Hinterhof, und sein Gesicht vor dem grellen Gelb einer Rapswiese und vor dem Haupteingang der Musikhochschule im Abenddämmer und dann wieder unter der Laterne, und sie begann zu weinen. Sie weinte über all die vergangene Zeit, die sich plötzlich in diesen Bildern zu häufen schien und doch verloren war.
    »Hey«, sagte Tom und legte seine hohle Hand an ihre Wange. Er umarmte sie. Sie weinte. Sie machte sich los. Er suchte in seinen Taschen nach einem Taschentuch. Aber nie hatte er in denwesentlichen Momenten seines Lebens ein Taschentuch bei sich gehabt, das er einer Frau hätte reichen können. Betty aber hatte selber eins.
    »Du hast noch gar nichts von Neapel gesehen«, sagte sie, blickte zu Boden und zog entschuldigend die Schultern nach oben. »Und jetzt ist es zu spät.«
    Wieder gingen sie über den ovalen Platz, der überflutet war vom Dämmerlicht, das gleichmäßig und gelb vom illuminierten Säulengang der Basilika San Francesco di Paolo herabströmte. Die Stimmen der über den Platz gehenden Menschen waren gedämpft. Und auch Betty und Tom glitten nahezu lautlos über das wie Wasser glänzende Oval, den nächtlichen See dieses Platzes, und setzten sich auf eine Bank unter Palmen. Sie betrachteten den Vesuv in der Ferne. Die an seinen Flanken aufsteigenden Lichter.
    »Die Neapolitaner«, sagte Betty, »sie sind wirklich bescheuert.« Und sie lachte schnaubend durch die Nase. »Haben nichts Besseres zu tun, als ihre Einfamilienhäuser, ihre Vorgärten und Carports direkt auf dem Vesuv zu bauen, obwohl sie wissen, dass er jeden Moment ausbricht und alles für immer unter Asche und Lava begräbt.«
    »Tja«, sagte Tom. »Sie haben Humor.«
    »Aber echt«, sagte Betty. »Ich hab ihm alles erzählt«, sagte sie und änderte nicht ihre Blickrichtung, reckte ihr Kinn gen Vesuv.
    »Wann?«, sagte Tom. In ihm war es ganz still.
    »Morgens, bevor ihr gefahren seid.«
    »Und warum?«
    »Wir hatten gestritten. Aus Blödheit«, sagte sie, »aus Eifersucht, ich weiß nicht. Ich hab es mich tausendmal gefragt.«
    »Deswegen hast du mich angerufen, oder?«, sagte er.
    Sie verschob nur ihren Mund etwas und sah weiter geradeaus auf den schlafenden Vesuv.
    Er nickte vor sich hin. Er stand auf, lief einen Kreis vor der Bank, er setzte sich wieder. »Ich hab es mir gewünscht«, sagte er schließlich.
    Betty schwieg.
    »Ich hatte eine Sternschnuppe gesehen am See. Ich hatte mir gewünscht, dass die Bahn frei wäre für uns. Ich hatte damals gedacht, dass das Schicksal gut wäre, für uns da wäre, dass es alles so fügen würde, dass es schon irgendwie für alle passt. Aber es ist nicht so.«
    »Man kann sich nichts wünschen vom Schicksal«, sagte sie. »Dem Schicksal sind wir scheißegal. Es ist nicht deine Schuld.«
    »Doch«, sagte er. Und dann erzählte er, was er noch nie erzählt hatte, nicht einmal sich selbst, was er wirklich fast vergessen, herausgetrennt hatte aus der Erinnerung, so dass nur eine gestrichelte Kontur übrig geblieben war um einen weißen Fleck: den seiner Schuld. Denn er hatte nicht sofort Hilfe geholt an jenem Nachmittag. Er hatte sich hingesetzt auf eine Bank an der Zugstation Morteratsch und
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