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Die Orangen des Präsidenten

Die Orangen des Präsidenten

Titel: Die Orangen des Präsidenten
Autoren: Abbas Khider
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gerade tun? Lebten sie überhaupt noch?
    Ich sehe Rosa aus der Ferne kommen. Sie ist nicht allein. Meine Mutter bei ihr, ebenso Jack, Vater, Ali, Adnan, Said und Shruq. Da sind auch Sami und Razaq. Jasim, Laila und Hamida. Sie kommen direkt auf mich zu. Warum erreichen sie mich nicht? Wieso verschwinden sie im Wüstensand?
    Eine Hand riss mich aus dem Schlaf. »Steh auf!«
    Es war Abu-Hady.
    »Was ist los?«
    »Ich gehe jetzt. Bleib du hier! Wenn die anderen wach sind, sag ihnen, ich komme bald wieder!«
    »Ja, aber wohin willst du? Du lässt mich hier allein mit so vielen Frauen und Kindern?«
    »Vertrau mir!«
    Nach einigen Sekunden war er hinter den Militärgebäuden verschwunden. »Was für ein Mist!«, murmelte ich, blieb liegen und hoffte auf seine baldige Rückkehr.
    Ich konnte noch immer nicht schlafen. Die ersten Strahlen der Morgensonne hellten langsam den Himmel auf. Ich hörte einen, der das Rufgebet des Morgens sprach. Er hatte eine schöne Stimme. Irgendwie geheimnisvoll, das Rufgebet in der Wüste. Aber der helle Morgen bot mir ein anderes Bild, das ich lieber nicht gesehen hätte: ein Schlachtfeld, unzählige Leichen, Knochen und Schädel. Einzelne Körperteile, zum Teil noch bekleidet. Ich schaute nach der Familie. Sie schliefen noch. Also schloss auch ich meine Augen wieder, bis mich eine tiefe Stimme weckte: »Du schläfst noch?«
    »Abu-Hady! Gott sei Dank!«
    »Wir müssen jetzt los.«
    Er ging ins Zimmer, weckte alle mit nur einem Wort: »Schnell!«
    Wenige Minuten später standen sie alle da. »Hört mir zu!«, begann er. »Wir gehen jetzt eine halbe Stunde zu Fuß. Dort wartet ein Lastwagen auf uns. Mit dem können wir weiterfahren.«
    »Warum kommt der Fahrer nicht hierher?«, fragte die Ehefrau.
    »Was für eine schlaue Frage! Dann wollen alle anderen auch mit. Wir können aber nicht alle mitnehmen. Der Lastwagen hat nicht Platz genug für alle. Also los!«
    Ich ging mit Abu-Hady vorneweg, die Familie hinter uns her. Ich war verblüfft und konnte mir wirklich nicht vorstellen, wie und wo er einen Lastwagen aufgegabelt haben wollte. »Ich dachte mir«, erklärte Abu-Hady, »wenn da eine Militärstellung ist, dann muss auch ein Dorf in der Nähe sein. Vielleicht sogar eine Landstraße. Also habe ich mich wie eine neugeborene, blinde Katze vorgetastet und hatte Glück. Ich fand die Landstraße und das Dorf, ein sehr kleines Dorf. Dort suchte ich nach einem Fahrzeug, bis ich einen Lastwagen fand. Im Haus gegenüber klopfte ich an dieTür. Es war das Haus des Fahrers, mit dem habe ich verhandelt und er wartet auf uns.«
    »Wie viel verlangt er?«
    »Sehr viel. Alles, was ich habe. Aber um meine Familie zu retten, bin ich bereit, alles zu opfern.«
    Ich wollte keine weiteren Fragen stellen. Bestimmt ging es um mehrere tausend Dinar. Ich wollte auch nicht fragen, warum er mit der ganzen Familie geflohen war. Bestimmt hatte er an den Aufständen teilgenommen. Und vermutlich Söhne oder Brüder verloren, denn er und alle Frauen der Familie trugen schwarze Trauerkleider.
    »Wohin geht die Reise?«, fragte ich beinahe schon scherzhaft.
    »Zu den Alliierten an die Grenze. Der Fahrer kennt den Weg.«
    Nach weniger als einer halben Stunde Fußmarsch erblickten wir tatsächlich den Lastwagen und die Landstraße. Sonst nichts weit und breit. Der Fahrer, ungefähr dreißig Jahre alt, rief uns nervös zu: »Schnell, bitte!«
    Abu-Hady stieg zu ihm ins Führerhaus, ich landete mit den Frauen und Kindern auf der Ladefläche, die keine Plane hatte. Der Fahrer, der offensichtlich Erfahrung mit Flüchtlingstransporten hatte, reichte uns ein paar weiße Flaggen und instruierte uns, damit in der Luft herumzuwedeln, wenn wir Flugzeuge oder Panzer sähen.
    Der Lastwagen fuhr an. Die Sonne brannte. Der heiße Wind führte Sand mit sich. Die Frauen versuchten, mit ihren Schleiern und Kleidern die Kinder vor dem fliegenden Sand zu schützen, doch der Sandsturm war einfach zu stark, und der Lastwagen fuhr schnell. Meine Lippen trockneten aus, und Durst quälte mich. Wir fuhren in eine kleine Nebenstraße, wo man sogar ein paar Palmen entdecken konnte. Der Wagen hielt vor einem kleinen Bach. Wir durften schnell aussteigen, um Wasser zu trinken, mussten aber ebenso schnell wieder einsteigen.
    Später tauchten vier Militärfahrzeuge auf. Schwer bewaffnetealliierte Soldaten schauten zu uns herüber. Wir hielten unsere weißen Flaggen hoch. Sie kamen näher, fuhren dann aber gleich weiter.
    Der Autoverkehr wurde reger.
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