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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten
Autoren: Roberto Bolaño
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schrieb er, es war sehr spät, und wir versuchten miteinander zu schlafen, aber zu ihrer angeschlagenen Gesundheit gesellte sich meine eigene Niedergeschlagenheit, mein eigenes Fieber, mein eigener Schüttelfrost. Anfangs masturbierten sie zu zweit, jeder auf seiner Seite des Bettes, wobei sie einander in die Augen schauten und lange nichts sagten. Mit dem Ergebnis, dass keiner von beiden kommen konnte und beide endgültig hellwach waren. Völlig übernächtigt, sagte Padilla, redeten wir, bis der Morgen graute, erst dann konnten wir endlich einschlafen.
    So redete Padilla vom Erstbesten, das ihm durch Kopf ging, und plötzlich ertappte er sich dabei, wie er ihr die Geschichte von Leopoldo Maria Panero erzählte, von seinen Gedichten, seinem Wahnsinn, davon, wie er sich sein Leben in der Psychiatrie von Mondragón vorstellte. Als er es merkte, saß das Mädchen rittlings auf ihm oder hatte sich um seine Beine gewickelt oder fesselte ihn an die Sprossen des Betts oder bat ihn, sie zu fesseln, oder etwas in der Art, schrieb Padilla, oder beide saßen nackt auf dem Teppich oder beide redeten zum ersten Mal über den Tod, auf eine naive, dumme, verzweifelte, mutige Art, machten Pläne und versprachen sich gegenseitig, sie zu verwirklichen. Natürlich haben wir nicht miteinander geschlafen, schrieb Padilla, zumindest rein technisch haben wir es nicht getan.
    Dummerweise, schrieb Padilla weiter unten, war ich am nächsten Tag nicht mehr betrunken (wenn man die Erfahrung der vorherigen Nacht als Trunkenheit bezeichnen kann), auch Elisa nicht, die während des Frühstücks unablässig von dem sprach, worüber sie gesprochen hatten, sich bruchstückhaft an alles erinnerte, wovon Padilla ihr erzählt hatte, und zuweilen mit einem erstaunlichen Gedächtnis auftrumpfte, immerhin war die nächtliche Unterhaltung nicht gerade ein Ausbund an Kohärenz gewesen, zumal er, wenn er so drauf war, wie ein Wasserfall redete, bekannte Padilla, allzu schnell, überhastet, eine phänomenale Koprolalie, so dass seine Gesprächspartner (und er selbst) gewöhnlich auf der Hälfte des Berichts den Faden verloren, aber Elisa konnte sich offenbar an alles erinnern: Namen, Büchertitel, die kleinen Intrigen und kleinen Exzesse eines vor langer Zeit untergegangenen (literarischen) Lebens.
    Das besagte Frühstück war also sehr seltsam gewesen.
    Plötzlich sah ich mich selbst. Aber in eine Frau verwandelt. Was (wie du gut weißt) nie mein Wunsch war. Aber da saß auf der anderen Seite des Tischs eine Frau mit sehr schmalen Lippen, krank, jung, arm, mit verwildertem Haar. Eine Frau, die bereit zu sein schien, in jedem Moment zu sterben. Mich wundert, dass ich sie nicht sofort aus der Wohnung geworfen habe, schrieb Padilla, offensichtlich nicht sehr überzeugt, sichtlich ein wenig erschrocken. Von seinem Roman sagte er nichts.
    Amalfitanos Antwort war kurz und von epigrammatischer Zweideutigkeit: Er begann damit, dass Elisas Freundschaft eine Bedeutung haben müsse, die sie noch nicht verstanden, und endete ziemlich düster mit einer Aufzählung der alltäglichen Probleme, mit denen er zu kämpfen hatte, am Philosophischen Institut ebenso wie zu Hause, in seinem Vater-Tochter-Verhältnis mit Rosa, die sich mit jedem Tag ein wenig mehr von ihm entfernte.
    Wie es seine Gewohnheit geworden war, wartete Padilla Amalfitanos Antwort nicht ab, bevor er ihm erneut schrieb.
    Wieder sprach er von Elisa.
    Drei Tage lang hatte er sie aus den Augen verloren. Am vierten, als er jene seltsame mnemotechnische Erscheinung schon zu vergessen begann, fand er sie zu ähnlicher Stunde und in ähnlicher Verfassung im Eingang seines Hauses. Wieder gingen sie zusammen ins Bett. Wieder masturbierten sie (diesmal kamen beide). Wieder sprachen sie miteinander.
    Das Mädchen, schrieb Padilla, habe einen Plan ersonnen, um wieder gesund zu werden. Er bestand darin, per Anhalter von Barcelona zur psychiatrischen Anstalt von Mondragón zu trampen. Als sie das sagte, bekam Padilla einen Lachanfall. Aber das Mädchen sprach unbeirrt weiter, diesmal bei ausgeschaltetem Licht, und das einzige bisschen Helligkeit drang durch das Glasdach des Lichthofs. Ihre Stimme, schrieb Padilla, war monoton, ohne monoton zu sein, ihr Tonfall war wandlungsfähig, ohne sich zu wandeln, und war vom Argot der Arbeiterviertel von Barcelona infiziert, aber zugleich der eines Fräuleins aus dem Feine-Leute-Viertel Sarriá. Du hast zuviel Gombrowicz gelesen, dachte Amalfitano.
    Der restliche Brief erging sich
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