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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten
Autoren: Roberto Bolaño
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Anfall, einen Infarkt oder dergleichen. So gut ich konnte, schleppte ich mich auf die Toilette und schlug mir eine Weile Wasser ins Gesicht. Es war ein seltsames Gefühl, das kalte Wasser drang nicht bis an meine Haut vor, der Schweißfilm war so dick, zäh, könnte man sagen, dass er es verhinderte. Meine Brust brannte, als hätte man mir ein rotglühendes Eisen zwischen die Brüste gelegt. Einen Moment lang war ich überzeugt, dass mir jemand eine Droge ins Getränk getan hatte, aber welche Art Droge, war mir nicht klar. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich auf der Toilette zubrachte. Als ich sie verließ, waren kaum noch Leute in der Galerie. Eine wunderschöne, skandinavisch blonde, etwa achtunddreißigjährige Frau stand neben Larry Rivers und sprach ununterbrochen. Es kam mir vor wie ein Wunder, dass Larry Rivers und einige seiner Freunde noch da waren. Die Skandinavierin spielte die erste Geige, sprach und gestikulierte, aber das Merkwürdige daran war, dass es so aussah, als würde sie etwas vortragen, ein langes Gedicht, das sie mit dem Fuchteln ihrer Hände untermalte, Hände, die zart und elegant zu sein versprachen. Larry Rivers betrachtete sie aufmerksam aus halb geschlossenen Augen, als sähe er die Geschichte der Blonden, eine Geschichte von winzigen, unablässig tätigen Leuten. Scheiße, dachte ich, wie schön. Liebend gern hätte ich mich zu ihnen gesellt, aber vermutlich hinderten mich meine Schüchternheit oder meine Diskretion daran. Der Texaner war nirgends zu sehen. Bevor ich ging, lächelte die Gruppe um Larry Rivers mir zu. Am Ausgang kaufte ich den Katalog und fuhr im Taxi zurück ins Motel. Ich ging zum Zimmer des Texaners, aber er war nicht da. Am nächsten Tag sagte man mir an der Rezeption, er sei in der vorigen Nacht abgereist und habe vorher noch alles bezahlt, einschließlich meines Zimmers und eines Frühstücks für mich in der Cafeteria des Hotels. Ich nahm mir vor, alles aufzuessen, sogar die Eier mit Speck, die ich hasse, aber ich bekam nur einen Kaffee herunter. Was ist dem Texaner widerfahren, dass er sich auf so unhöfliche Art aus dem Staub gemacht hat? Ich habe es nie erfahren. Zum Glück hatte ich meine Kreditkarten dabei. Um zwei Uhr nachmittags nahm ich ein Flugzeug nach Hermosillo, und von dort fuhr ich im Taxi nach Santa Teresa.

16
     
    Der nächste Brief von Padilla berichtete von einem Mädchen, das er im Krankenhaus kennengelernt hatte, und enthielt eine lange, ziemlich finstere Abschweifung. Ich hatte versprochen, schrieb er, dir zu erzählen, wie ich die Auseinandersetzung mit meinen Zimmergenossen beigelegt habe. Diese Bürschchen, Söhne schicksalsloser Proletarier (auch Lumpenproletariat genannt, dachte Amalfitano, der im Grunde Marxist geblieben war), benahmen sich mir gegenüber wie 1948 die Araber gegenüber den Juden, weshalb ich beschloss, aktiv zu werden, eine Demonstration der Stärke zu geben, Angst einzuflößen.
    Eines Nachts wartete ich, bis der ganze Trakt in Morpheus’ Armen lag, und stand dann auf. Mit lautlosen Schritten (auf Samtpfötchen, sagte Padilla), schlich er, den Tropfständer hinter sich herziehend, zum nächstgelegenen Bett (in dem der aggressivste, aber auch hübscheste der Burschen lag), zog die Vorhänge auseinander und begann, ihn zu würgen. Mit einer Hand hielt er ihm den Mund zu, mit der anderen, in der der Katheter steckte, drückte er die Kehle zu, bis er keine Luft mehr bekam. Als der Schläfer erwachte, die Augen öffnete und sich befreien wollte, war es zu spät. Der Kranke war ihm ausgeliefert, und Padilla quälte ihn noch ein bisschen, dann ließ er ihn schwören, dass ab jetzt Schluss sei mit den Witzen. Die anderen beiden wachten auf und betrachteten durch den Vorhang Padillas über ihren Freund gebeugten Schatten. Wahrscheinlich dachten sie, er würde ihn vergewaltigen, schrieb Padilla, hatten aber so viel Angst, dass keiner den Mund aufmachte. Am nächsten Tag jedenfalls lag nicht Verachtung oder Hohn, sondern Angst in ihren Blicken.
    Das Mädchen, das er kennenlernte, war die Schwester des Jungen, den er ein wenig gewürgt hatte. Eines Nachmittags kam sie mit einem Geschenk zu ihm. Einer riesigen, saftig aussehenden gelben Birne mit braunen Flecken. Das Mädchen setzte sich auf seinen Bettrand und fragte ihn, warum er ihrem Bruder weh getan habe. Die drei Junkies, erinnert sich Padilla, saßen in einer Ecke des Zimmers am Fenster und rauchten, während das Mädchen mit ihm sprach. Padillas Antwort lautete: um die
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