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Die Noete des wahren Polizisten

Die Noete des wahren Polizisten

Titel: Die Noete des wahren Polizisten
Autoren: Roberto Bolaño
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waren.
    Als Padilla ihm schrieb, er sei mit dem Virus infiziert, hatte Amalfitano beschlossen, sich ebenfalls testen zu lassen, aber nicht in Santa Teresa, sondern in Tijuana, wo auszuschließen war, dass er einem Bekannten von der Universität begegnete.
    Er sprach darüber mit Isabel Aguilar, die beschloss, ihn in ihrem Wagen hinzubringen. Sie brachen in aller Frühe auf und fuhren durch eine Ebene, in der alles dunkelgelb war, sogar die Wolken und die wenigen rachitischen Sträucher entlang der Straße.
    »Um die Zeit sieht alles so aus«, sagte Isabel, »wie Hühnersuppe, später berappelt sich das Land, und das Gelb verschwindet.«
    Sie frühstückten in Cananea und fuhren dann weiter Richtung Santa Ana, Caborca, Sonoyta und San Luis. Dort verließen sie den Bundesstaat Sonora und kamen nach Baja California Norte. Während der Fahrt erzählte Isabel, dass sich einmal ein Texaner in sie verliebt habe. Er sei eine Art Kunsthändler gewesen, ein Professor der bildenden Künste habe ihn ihr damals vorgestellt. Kurz nachdem ihre Beziehung zu dem Mechaniker in die Brüche gegangen war. Auf den ersten Blick wirkte der Texaner ungehobelt, einer, der Stiefel mit Absätzen, Cowboy-Schlips und Stetson trug, aber er hatte doch Ahnung von amerikanischer Gegenwartskunst. Das Problem war nur, er gefiel ihr nicht, und sie hatte aus ihren letzten Beziehungen gelernt.
    »Einmal«, sagte Isabel, »kam der Texaner zu mir nach Hause und wollte mich zu einer Larry-Rivers-Ausstellung in San Antonio einladen. Ich schaute ihn mir an und dachte: Der Typ will mit dir ins Bett und findet nicht die passenden Worte, es dir zu sagen. Ich weiß nicht, warum ich seine Einladung annahm. Ich hatte nicht die Absicht, mit ihm ins Bett zu gehen, zumindest wollte ich es ihm nicht so leicht machen, und auch der Gedanke an eine Autofahrt nach San Antonio reizte mich nicht, aber plötzlich bekam ich doch Lust hinzufahren, bekam Lust, die Bilder von Larry Rivers zu sehen, so dass mir sogar die Autostunden, das Essen in Raststätten, das Motel, in dem wir in San Antonio zu übernachten gedachten, die sterbenslangweilige Landschaft und die Strapazen der Fahrt in angenehmem Licht erschienen. Ich packte also etwas zum Anziehen, ein Buch von Nietzsche und meine Zahnbürste in eine Tasche, und wir fuhren los. Bevor wir die Grenze überquerten, wurde mir klar, dass der Texaner mich nicht ins Bett locken, sondern nur reden wollte, nur jemand suchte, mit dem er reden konnte (erstaunlicherweise fand er mich sympathisch). Mit einem Wort: Mir wurde klar, dass er ein ziemlich einsamer Typ war, und dass ihn das manchmal fertigmachte. Die Reise war angenehm, ohne besondere Vorkommnisse, die Dinge waren zum Glück von Anfang an klar. Als wir in San Antonio ankamen, mieteten wir uns in einem Motel in den Außenbezirken ein, in getrennten Zimmern, aßen in einem chinesischen Restaurant recht gut zu Mittag und gingen dann in die Ausstellung. Nun: Es stellte sich heraus, dass es der Tag der Eröffnung war, mit Presse, einigen Fernsehkameras, Scheinwerfern, Getränken, lokalen Berühmtheiten und, in einer Ecke, umgeben von Leuten, Larry Rivers persönlich. Ich erkannte ihn nicht, aber der Texaner sagte: Der da ist Larry Rivers, sagen wir ihm Guten Tag. Wir gingen zu ihm, und dann reichten wir ihm die Hand. Es ist mir eine Ehre, Mister Rivers, sagte der Texaner, für mich sind Sie ein Genie. Und dann stellte er mich ihm vor. Señorita Isabel Aguilar, Professorin für Philosophie an der Universität von Santa Teresa. Larry Rivers sah ihn von oben bis unten an, vom Stetson bis zu den Stiefeln, und sagte zunächst nichts, fragte dann aber, wo Santa Teresa liege, in Texas oder in Kalifornien?, und ich reichte ihm die Hand, wortlos, ziemlich befangen, und sagte dann, in Mexiko, im Bundesstaat Sonora. Larry Rivers sah mich an und sagte, großartig, Sonora, großartig. Das war alles, wir verabschiedeten uns höflich und gingen ans andere Ende der Galerie, der Texaner wollte über die Bilder von Larry Rivers reden, ich hatte Durst, wollte aber auch über die Bilder reden, und so tranken wir eine Weile Wein und aßen Kanapees mit Kaviar und geräuchertem Lachs und tranken Wein, und unsere Begeisterung über die Ausstellung nahm immer mehr zu, als ich mich plötzlich, von jetzt auf gleich, allein an einem Tisch voller leerer Gläser wiederfand, schwitzend wie eine Stute, der man einen Parforceritt abverlangt hatte. Ich habe es nicht am Herzen, aber in diesem Moment fürchtete ich einen
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