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Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten

Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten

Titel: Die Neuen - Herz des Gladiators - Nachbars Garten
Autoren: Martin Clauß
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aber nicht so verrückt.“
    Die vier Blätter der riesigen Pflanze bildeten zusammen eine rund zwei Meter durchmessende Swastika - ein Hakenkreuz.

8
    Tagebuch des Wilhelm Stein von 1945 – Auszüge
    „Sie ist großartig. In der neunundzwanzigsten Generation hat sie jenes Aussehen und einen Teil jener Fähigkeiten erlangt, die sie braucht. Wie lange hat es gedauert? Fünf Jahre? Sie ist jede Stunde davon wert. Der Endsieg lässt auf sich warten, und ich vermute, dass meine Pflanzen kriegsentscheidend sein werden. Ein Hoch auf Wilhelm Conrad Röntgen! Noch gibt es viel Raum für Verbesserungen, aber ich darf nicht zu perfektionistisch denken. Was ich erreicht habe, lässt sich mit nichts vergleichen. Jetzt muss ich Sorte A vermehren, jetzt muss das Projekt zum Einsatz kommen.
    Man muss den Moment erkennen, wenn er da ist.
    Auch die andere Seite des Projekts, Sorte B, ist weit fortgeschritten. Ihre Wurzeln haben eine Geschwindigkeit von mehr als einem Zentimeter pro Minute erreicht. Und was viel wichtiger ist: Ihre blauen Blütenaugen sind unwiderstehlich. Ich kann beinahe sicher sein, dass sie ihr Ziel erreichen werden, falls eines Tages die traurige Notwendigkeit besteht, sie einzusetzen. Mit dem Charme, den nur eine Blume haben kann, werden sie bis zu dem Mann vordringen, zu dem sonst niemand durchkommt. Den am besten geschützten Mann dieser Erde werden sie, meine Blumen, erreichen. Im Schlaf werden sie ihn vernichten.
    Gnade ihm Gott, wenn er Sorte A nicht mag …“
    …
    „Es ist eine unermessliche Tragödie. Die letzten Jahre habe ich hier oben alleine verbracht, die letzten drei Monate war ich vollständig abgeschnitten vom Rest der Welt. Ich habe hier meine Quelle, mein Feuerholz, mein Gemüse, ein paar Hühner, alles. Ich habe mit dem Mörser sogar mein eigenes Mehl gemacht für ein einfaches Brot. Ich hätte noch Jahre so leben können.
    Und jetzt muss ich von einem dummen Soldaten, der sich in den Wäldern verstecken will, erfahren, dass alles verloren ist. Welchen Monat schreiben wir? April? Die Franzosen sind einmarschiert – sie sitzen in Nagold und Freudenstadt und sogar schon in Rottweil. Ich spüre, dass dies die letzten Tage des Krieges sind. Wir haben unseren großen Kampf verloren. Ich glaube nicht, dass wir das Steuer noch einmal herumreißen können.
    Damit haben meine Züchtungen ihre Daseinsberechtigung verloren. Sorte A und Sorte B – keine von ihnen wird jemals zum Einsatz kommen.
    Mein Lebenswerk ist hinfällig.
    Und damit auch mein Leben.
    Ich könnte alles zerstören, die Pflanzen und das Tagebuch, und so tun, als wäre ich nichts als ein verschrobener Hinterwäldler. Aber falls sie Samen erbeuten, werden sie bald wissen, was ich getan habe.
    Ich bräuchte Kraftstoff, um das alles noch einmal sauber in die Luft zu jagen. Keinen Tropfen habe ich mehr davon.
    Und auch kein Interesse mehr. Keine Kraft für einen Neuanfang. Zu oft habe ich neu angefangen, und nie ging es, wie ich es mir vorstellte.
    Es ist besser, ich ziehe heute einen Schlussstrich.
    Ich gehe in das hintere Haus. Lege mich neben Sorte A aufs Beet. Was sie mit mir macht, wird sehr schmerzhaft sein. Aber auch sehr endgültig.
    Denn von mir bleiben keine Samenkörner zurück. Und vielleicht ist das gut so.“

9
    Gegenwart
    In Zimmer 316 einer Abteilung des Offenburger Klinikums lag Eberhard Aspen. In den sechs Wochen, die er im Koma verbracht hatte, war sein Körper abgemagert, seine Haut verblasst. Seit Werner Hotten ihn zum letzten Mal gesehen hatte, war weniger als ein Jahr vergangen, doch Aspen schien um zehn Jahre gealtert zu sein.
    Werner hatte Weintrauben für ihn gekauft, und Aspen fixierte diese die ganze Zeit über, als wären sie etwas Himmlisches. „Vielleicht kann er morgen welche essen“, hatte die Schwester lächelnd erklärt. „Vorerst ist er auf Brei. Wir haben ihm gestern erst die Magensonde gezogen.“ Auf dem Nachttisch stand eine braune Schnabeltasse und daneben eine grüne Flasche Mineralwasser ohne Kohlensäure.
    „Wie geht es dir?“, fragte Werner. Die vertrauliche Anrede benutzte er gefühlsmäßig, obwohl er sich nicht mehr erinnern konnte, ob sie sich bei ihrem letzten Gespräch geduzt oder gesiezt hatten.
    „Das … weiß ich nicht“, krächzte Aspen. Das Sprechen strengte ihn sichtlich an. „Ich bin nicht … sicher, was sie … in meinem Körper zurückgelassen haben.“
    Hotten riss die Augen auf. „Die Ärzte?“ Die Schwester war eben aus dem Zimmer gegangen – sie waren alleine
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