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Die Nacht in Issy

Die Nacht in Issy

Titel: Die Nacht in Issy
Autoren: Alexander Borell
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Ja, aber — schließlich hatte ich Alexandre ja gar nicht umgebracht! Ich brauchte vor nichts Angst zu haben.
    Als sie uns auf der Wache hatten, wurden sie freundlicher.
    »Also«, sagte der eine, »was ist mit euch los? Wer hat um Hilfe gerufen?«
    »Ich«, sagte ich, »sie wollten mir mein Geld klauen.«
    Die anderen beiden machten scheinheilige Gesichter.
    »Wir? — Aber keine Spur, Monsieur le Capitain! Er ist total besoffen — das ist alles.«
    »Ihre Papiere, mein Herr!« sagte der Polizist und hielt mir die Hand hin. Himmel, ich hatte ja nur die Entlassungspapiere!
    Ich gab sie ihm. Er prüfte sie kurz und sah mich lächelnd an.
    »Na — wohl schon zu lange in Freiheit, was?«
    Ich fuhr ihn an.
    »Was erlauben Sie sich für blöde Bemerkungen! Das geht Sie überhaupt nichts an.«
    »Wo wohnst du denn jetzt, Freundchen?«
    »Hier draußen ist er fremd«, riefen die beiden anderen.
    Ich nannte irgendeine Straße.
    »Aha!« sagte er, und dann tippte er auf meine Brieftasche, »wohl wieder was ganz Einträgliches gedreht, wie?«
    »Es ist nicht mein Geld«, sagte ich und fühlte, wie ich mich immer mehr verhedderte.
    Der Polizist lachte.
    »Glaub’ ich dir aufs Wort. — Zeig mir doch mal die Brieftasche.«
    »Ich protestiere!« rief ich. »Ich bin ein freier Bürger und wünsche als solcher behandelt zu werden! Es gibt für Sie überhaupt keine Veranlassung, mich mitten in der Nacht hier festzuhalten. Ich wünsche sofort zu gehen.«
    Er riß mir mit einem raschen Griff die Brieftasche aus der Hand und ließ die Banknoten durch seine Finger gleiten.
    »Hm! — Eine ganze Menge.«
    Plötzlich tastete er an mir entlang. Ich wollte mich wehren, aber die anderen beiden Polizisten hielten mich fest. Natürlich fanden sie die Pistole.
    »Auch das noch«, sagten sie, und dann ging einer und telefonierte mit der Préfecture. Ich hörte, daß er ein Auto anforderte, das mich abholen sollte.
    Mag sein, daß ich etwas zuviel getrunken hatte; jetzt aber war ich wieder nüchtern. Ich wußte genau, was es für mich bedeutete, daß man die Pistole in meiner Tasche gefunden hatte, mit der Alexandre erschossen worden war. Kein Richter der Welt hätte mir Glauben geschenkt, mir, einem wegen Totschlags vorbestraften Zuchthäusler! Und inzwischen war auch die Todesstrafe wieder eingeführt worden; überall hatten die Guillotinen zu tun.
    In allem Unglück hat man aber manchmal auch ein wenig Glück, das heißt, wenn man seine Chance rechtzeitig erkennt.
    Meine Chance kam diesmal völlig unerwartet, für mich sowohl, als auch für die Polizeibeamten.
    Während sie sich noch mit meiner Pistole beschäftigten, bekam plötzlich einer der beiden Kerle, die ziemlich unbeachtet herumstanden, einen Anfall. Er fiel zuerst wie vom Schlag getroffen auf den Boden, verdrehte fürchterlich die Augen und fing dann an, wie eine wildgewordene Maschine um sich zu schlagen.
    Sofort eilten ihm die Beamten zu Hilfe. In diesem Augenblick sprang ich mit zwei Sätzen aus dem Wachlokal, jagte die Rue de Vanves hinab, und als ich merkte, daß mir niemand nachkam, verschnaufte ich eine Weile auf dem Friedhof Montparnasse. Für den Augenblick war ich gerettet.
    Es ist eine liebenswürdige Sitte der Pariser, ihre Friedhöfe nachts nicht abzusperren; man kann sich auf ein Grab setzen und ungestört nachdenken.
    Ich war in einer trüben Stimmung, als ich den Friedhof nach einer Weile verließ und langsam zum Observatorium wanderte.
    Nicht einmal die Tatsache, daß man übersehen hatte, mir das kleine Wechselgeld abzunehmen, so daß ich nun mehr Geld in der Tasche hatte als heute abend, konnte mich erheitern.
    Während ich durch den Luxembourg ging, wurde ich neugierig, was Gustave mir erzählen würde. Zugleich aber tauchte ein neues Problem für mich auf.
    Wie, wenn man mich doch schnappen und für den Mörder halten würde? Es wäre gemein gewesen, Gustave zu verpfeifen, andererseits konnte es mich den Kopf kosten; und während ich noch hin und her überlegte, hatte ich die Toten vom Montparnasse vergessen. Nein, ich wollte auf einmal nicht um alles in der Welt geköpft werden; noch dazu für etwas, was ich nicht getan hatte.
    Aber Gustave anzeigen? Der Polizei sagen: der war’s?
    Eine verdammt dumme Situation. Gustave war anständig zu mir gewesen.
    Aber mein Kopf?
    Ganz sacht verfiel ich wieder in den alten Fehler, den ich seit meiner frühesten Jugend hatte: ich beschloß, zunächst einmal abzuwarten.
    Das Mädchen in der Kneipe »zum Fuchs, der den
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