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Die Nacht in Issy

Die Nacht in Issy

Titel: Die Nacht in Issy
Autoren: Alexander Borell
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Mann. Ab und zu kommen ein paar Mädchen, die werden vorübergehend bei dir wohnen.«
    Er zwinkerte mit den Augen und leckte sich die Lippen.
    »Nur zur Durchreise — sozusagen. Du hast direkt nichts damit zu tun.«
    »Das ist ein Vorschlag«, meinte ich, »und was schaut für mich dabei heraus?«
    »Ein Fixum, und die Einnahmen aus dem Hotel. Außerdem eventuell eine Beteiligung an den Mädchen.«
    Ich tat begeistert und kippte den dritten Absinth.
    »Mensch«, sagte ich, »das ist Klasse. — Wann soll ich anfangen?«
    Er lachte laut auf.
    »Ganz so schnell wird’s nicht gehn. Zwei, drei Wochen brauchen wir noch. Außerdem kann ich’s nicht allein entscheiden; aber ich will sehen, daß ich es dir zuschanzen kann. — Übrigens: Le Rouge ist auch frei.«
    Le Rouge war ein rothaariger Kerl gewesen, den keiner leiden konnte. Er hatte, um zu Geld zu kommen, einen kleinen Händler bestialisch erschlagen.
    »Der ist frei?« fragte ich ungläubig. »Entlassen?«
    »Nee, getürmt. — Ich weiß, wo er ist.«
    »Ist er mit dabei — bei dieser Mädchensache?«
    »Noch nicht, aber wir haben ihn für Tanger vorgesehen.«
    Es war viertel nach elf geworden, ich zahlte und hinterließ ihm meine Adresse.

2

    Ich ärgerte mich fürchterlich. Was brauchte ich mich, wenn ich in der nächsten Stunde einen Menschen ermorden wollte, vorher in eine Kneipe zu setzen! Ich hätte mich besser hinter das Oleandergebüsch gesetzt und gewartet. Dann hätte ich jetzt keinen dicken Kopf gehabt, und dieses verdammte Liebespaar hätte sich vermutlich woanders niedergelassen.
    Sie lagen direkt hinter einem Gebüsch, ich mußte sie unbedingt von hier fortbekommen. Laut pfeifend ging ich an ihnen vorbei und setzte mich, keine zwei Meter von ihnen entfernt, ins Gras. Es schien sie jedoch nicht zu stören, denn sie machten keine Anstalten, fortzugehen.
    »Wieviel Uhr ist es bitte?« rief ich hinüber und rückte ein Stückchen näher. Ich bekam keine Antwort. In der Dunkelheit sah ich sie nebeneinander liegen.
    »Können Sie mir nicht sagen, wieviel Uhr es ist?«
    Das Mädchen in dem hellen Sommerkleid stand auf. Sie tuschelten eine Weile miteinander, dann verschwanden sie tiefer im Park. Gott sei Dank! Ich atmete auf. Das hätte mir gerade noch gefehlt!
    Ich ließ mich hinter dem Busch nieder und machte es mir bequem. Nach meiner Schätzung mochte es halb zwölf Uhr sein; ich mußte noch mindestens zwanzig Minuten warten. Von meinem Versteck aus konnte ich die Route des Moulineaux gut überblicken und sah jeden Autoscheinwerfer schon von weitem aus Richtung der Stadt kommen.
    Ich glaube, ich war völlig ruhig. Neun Jahre lang hatte ich auf diesen Augenblick gewartet, und vier Wochen lang hatte ich mir diesen Plan ausgedacht. Dabei war ich mir völlig bewußt, daß ich vorhatte, einen Menschen kaltblütig zu ermorden. Ich hatte keine anderen Gedanken, als ihn auszulöschen, mir Genugtuung zu verschaffen und es dabei so anzustellen, daß ich nicht erwischt werden konnte.
    Genugtuung! Das Gespräch mit dem Geistlichen fiel mir wieder ein. Nein, es hätte mir nichts geholfen, wenn mir ein Gericht bestätigt hätte, ich sei unschuldig verurteilt worden, und mir eine Summe Geldes dafür in die Hand gedrückt hätte. Nein, es gab für mich nur diese eine Lösung. Ich hatte es mir vorgenommen, mich und meinen Vater zu rächen; das war es. Und wer mir gesagt hätte, Rache sei ein niederes, ein unwürdiges Gefühl, dem hätte ich ins Gesicht gelacht. Sie haben gut reden, die Leute, die noch nie im Zuchthaus gesessen haben!
    In der Ferne sah ich einen Lichtschein, aus dem rasch die Scheinwerfer eines Autos wurden. Ich dachte nicht, daß es schon Alexandre sei, aber für alle Fälle richtete ich mich zu meinem Vorhaben auf. Der Wagen kam näher und fuhr vorbei.
    Im Zuchthaus hatten wir auch zwei Geistliche gehabt. Einen für die Protestanten und einen katholischen. Ich war weder das eine noch das andere und wurde von beiden besucht, bald nachdem man mich eingeliefert hatte.
    Zuerst war der evangelische Pfarrer gekommen. Er war noch ein jüngerer Mann, und der Eifer leuchtete ihm aus den Augen. Er wollte mich durchaus bekehren und verhieß mir den Trost der Kirche.
    »Ich bin unschuldig verurteilt«, hatte ich ihm erklärt.
    Und er hatte ungläubig genickt und mir versprochen, sich meines Falles anzunehmen. Damals fiel ich auf solche Versprechungen noch herein. Er kam nie mehr in meine Zelle.
    Der Katholik war ein alter Kapuziner. Er kam in meine Zelle und
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