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Die Nacht in Issy

Die Nacht in Issy

Titel: Die Nacht in Issy
Autoren: Alexander Borell
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Hühnern predigt« in der Rue de la Harpe blinzelte mir zu.
    »Im Hinterzimmer«, flüsterte sie.
    Das Lokal war heute gut besetzt. Ich hockte mich an einen Tisch, bestellte irgend etwas, und tat dann, als müsse ich auf die Toilette. Ich bog aber vorher ab und trat, ohne anzuklopfen, ins Hinterzimmer.
    Da saßen Pierre, Gustave und noch ein paar andere. Sie nickten mir kurz zu.
    »Ah, Jean! — Bist du fertig?«
    »Ja«, sagte ich und setzte mich neben Gustave, der mich kurz musterte und dann gedankenverloren vor sich hin schielte, »ja, ich bin soweit.«
    »Hast du nun Geld?« fragte Pierre, »du kannst es mir nachher gleich geben, dann bekommst du morgen vormittag deine Papiere.«
    »Ich habe kein Geld. Es hat nicht geklappt.«
    Pierre lachte.
    »Siehst du — wenn ich es nun ausgelegt hätte, säße ich jetzt selber auf deinen dreckigen Papieren. — Na schön, vielleicht ein anderes Mal. Da, trink!«
    Er schob mir ein Glas Kognak zu, und ich kippte es hinunter.
    Gustave erwachte aus seiner Lethargie.
    »Was?« knurrte er. »Was sagst du da? Du hast kein Geld?«
    »Nein — es hat nicht hingehauen.«
    »Dreck!« sagte er nur.
    Ich überlegte, was er wohl sagen würde, wenn ich ihm die ganze Geschichte erzählte. Wenn er hörte, daß die Polizei hinter mir her war.
    »Wollen wir nicht heimgehen?« fragte ich.
    »Warum so eilig?« brummte er. »Wir haben ja viel Zeit.«
    »Und«, fragte ich nach einer Weile leise, »wie ist es dir gegangen?«
    »Auch nicht ganz, wie ich dachte«, murrte er böse, und ich mußte lächeln. Ich konnte mir gut vorstellen, wie er erschrocken gewesen war, als oben auf der Straße plötzlich der Motor aufheulte und er annehmen mußte, daß Alexandre nicht allein gewesen sei. Er würde wohl auch sehr erleichtert gewesen sein, wenn ich ihm gesagt hätte, daß seine Pistole auf der Polizei für mein Eigentum gehalten wird.
    Etwa gegen halb zwei Uhr sagte Gustave:
    »Gehen wir nach Hause, Jean.«
    Wir verabschiedeten uns, und ich hörte, wie Pierre leise zu Gustave sagte:
    »Mache dir keine dummen Sorgen! Du weißt ja, daß wir dich im Ernstfall nicht hängenlassen.«
    Ich stand daneben. Pierre reichte mir nicht einmal die Hand, er nickte mir nur gelangweilt zu. Nie vorher hatte ich so deutlich gespürt, daß ich eben doch nicht zu ihnen gehörte, daß sie mich nicht als ihresgleichen anerkannten.
    Das ist eine merkwürdige Erscheinung. Man wird seine Vergangenheit einfach nicht los, sie verfolgt einen bis zum Galgen.
    Was konnte ich dafür, daß mein Vater mich hatte studieren lassen? Was konnte ich letzten Endes dafür, daß ich mich für Archäologie und Kunstgeschichte entschieden und meinen Doktor gemacht hatte?
    Aber das Erstaunliche war, daß davon meine neuen Bekannten nichts wußten! Sie kannten mich als Nummer 18 119, oder wußten höchstens meinen Vornamen. Und trotzdem fühlten sie es, wußten es, und behandelten mich dementsprechend. Sie waren höflich, kühl und immer auf der Lauer.
    Das ist eine Sache, die von den Gerichten beachtet werden sollte. Menschen wie ich werden doppelt hart bestraft, weil sie hinterher nirgends mehr hingehören. Sie schwimmen wie Treibholz herum und finden nirgends mehr einen Strand, an dem sie zur Ruhe kommen könnten.
    Wir waren mittlerweile in die Rue de Vaugirard eingebogen.
    »Es ist ja nicht meinetwegen«, fing Gustave plötzlich an, »aber es ist wegen Dedé. Ich kann es ihr nicht länger zumuten.«
    Ich wußte sofort, wovon er sprach. Er und seine Frau hatten damit gerechnet, Geld von mir zu bekommen.
    »Ja, natürlich«, sagte ich, »ich werde morgen abhauen.«
    »So schnell braucht’s ja nicht zu sein«, meinte er, »aber nur so auf die Dauer — es ist eben doch viel zu eng bei uns.«
    »Selbstverständlich, Gustave. Ich bin euch sehr dankbar.«
    »Keine Ursache, Jean. — Aber nun hast du doch kein Geld, oder?«
    »Nein, ich habe nicht viel. Höchstens hundertfünfzig Francs.«
    »Was willst du denn tun?«
    »Vielleicht — vielleicht gehe ich nach Spanien.«
    Mir war plötzlich das Angebot eingefallen, das man mir am Abend gemacht hatte.
    Deshalb warf ich leicht hin:
    »So ein bißchen Mädchenhandel, weißt du?«
    »Keine schlechte Sache«, meinte Gustave, »aber man muß die richtigen Hintermänner haben, sonst ist es faul. Die meisten fallen dabei herein. Du mußt achtgeben, daß sie dich nicht irgendwo ausspielen. Oft brauchen sie so einen Anfänger, um selber Luft zu bekommen.«
    »Ich werde schon aufpassen.«
    Wieder schwiegen wir
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