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Die Nacht des Schierlings

Die Nacht des Schierlings

Titel: Die Nacht des Schierlings
Autoren: Petra Oelker
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Elwa sie mit dieser strengen Falte über der Nasenwurzel angesehen, die Molly als Kind gefürchtet hatte. Dann hatte die Magd Schalen und Löffel vom Tisch geräumt, die restlichen Brotstücke in einen Tontopf gelegt und Molly noch einmal angesehen. Milder diesmal. «Was wolltest du vorhin wirklich erzählen?», hatte sie endlich gefragt. «Die anderen haben die Sache mit deinen neuen Rezepten vielleicht geglaubt – ich nicht.»
    Sie hatte ein bisschen herumgedruckst, aber dann, als Elwa sich aufseufzend einfach wieder über ihren Topf beugte, hatte sie es gesagt.
    Wieder hatte Elwa sie angesehen, diesmal prüfend, ohne die strenge Falte über der Nasenwurzel. «Das ist dummes Zeug», ihre Stimme hatte ungewöhnlich milde geklungen, «das weißt du. Man nennt sich nicht plötzlich anders.»
    «Warum nicht? Es ist mein richtiger Name, Molly ist falsch. Und jede Frau heißt plötzlich anders, wenn sie heiratet.»
    «Das ist was anderes. Warum überhaupt Maria?»
    «Mein erster Name geht nicht. Mutter heißt auch Magdalena. Für alle ist es ihr Name. Ich habe eigentlich gar keinen. Bisher heiße ich nur Molly, weil ich immer schon so rund war.»
    «Nicht immer. Zuerst warst du verdammt dünn, ich hab schon gedacht …» Elwa unterbrach sich und wischte mit dem Handrücken über den Mund, vielleicht weil dort noch eine Brotkrume hing. «Egal, hat ja nicht lange gedauert. Ich denk mir, deswegen haben wir dich dann Molly genannt, wenn so ’n Würmchen erst ganz dünn ist und dann hübsch rund wird, ist der Name genau richtig.»
    «Stimmt, Elwa, aber nun bin ich schon lange kein Würmchen mehr. Nun bin ich Maria.»
    Die Magd beugte sich tief über den Breikessel und begann mit dem Holzlöffel die Reste der Grütze zusammenzukratzen. «Und warum nicht Antonia?»
    «Mein dritter Name? Der ist auch schön, ja. Aber was glaubst du, was sie daraus machen würden? Tony. Oder Anni. Dann kann ich gleich bei Molly bleiben. Nein, ich will Maria heißen. Und irgendwann», sie hob achselzuckend die ausgebreiteten Hände, «irgendwann ist es so weit. Ich kann warten.»
    «Des Menschen Wille ist sein Himmelreich», grummelte Elwa, ihre Stimme kam aus dem Topf wie ein dumpfes Echo zurück, und Molly lachte.
    «Das klingt wie direkt aus der Unterwelt. Wie wenn in der Komödie der Teufel ins Spiel kommt.»
    «Dann pass mal gut auf.» Elwa hob den Kopf und drohte mit dem Löffel, aber in ihren Augen blitze es so wie früher, als sie das juchzende Kind, das Molly einmal gewesen war, über den Hof oder rund um den Tisch gejagt hatte, um sie am Ende zu fangen, durch die Luft zu wirbeln und ihr eine kleine Leckerei in den Mund zu stecken. «Nicht jeder Teufel spielt Komödie.»
    Seither war fast eine Woche vergangen, und Molly war vorerst Molly geblieben.
    Als sich nun die schmale Straße zum Gänsemarkt öffnete, blieb sie bei dem hölzernen Glockentürmchen stehen, einem von mehreren in der Neustadt, die die Glocken von St. Michaelis ersetzten, solange die große, neuerbaute Kirche noch keinen Turm hatte. Sie griff ihren Korb fester und blickte auf das für einen ganz normalen Montag ungewöhnliche Gedränge in der Nähe des Durchgangs zum Opernhof. Sonst hätten die vielen Menschen ihre Neugier geweckt, heute hatte sie anderes im Sinn. Der weite, dreieckige Platz mit dem Wach- und Spritzenhaus war einer der größten in der längst zu eng gewordenen Stadt. Die meisten Verkaufsbuden standen auf dem älteren Hopfenmarkt um die St. Nikolaikirche, ziemlich genau in der Mitte der Stadt. Aber überall, wo es die Breite der Straßen erlaubte, gab es Verkaufsbuden von Hökern, Töpfern, Drechslern oder Wachsziehern, riefen Straßenhändler ihre Ware aus. Auf dem Gänsemarkt roch es zudem stets nach Zimtwaffeln, oft nach köchelnder fetter Suppe. Ganz Hamburg, hatte neulich jemand gesagt, sei ein großes Kaufhaus.
    Molly kümmerte sich nicht um die verlockenden Buden, ignorierte tapfer eine Händlerin, die einen besonders hübschen, angeblich mit feinsten Schwanenfedern besetzten Fächer anbot, und ging am Wachhaus vorbei über den Platz. Da wich die Menge plötzlich einer Welle gleich zurück, es wurde geraunt, geklatscht, gelacht, und nun erkannte Molly, wer die Leute angelockt oder im Vorübergehen festgehalten hatte: ein Akrobat und eine Tänzerin. Jedenfalls sah die junge Frau wie eine Tänzerin aus, der zierlich vorgeschobene rechte Fuß unter dem die Knöchel freigebenden und in allen Regenbogenfarben schillernden Rock, die graziös
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