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Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)
Autoren: Anita Shreve
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Leute, denen
das Sommerhaus früher gehört hat, seiner Meinung nach alle der Schönheit wegen gekommen
waren.«
    »Das hat mein Vater gesagt?« Ben denkt darüber nach. »Aber es stimmt
nicht.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Die Schönheit ist da, ohne Zweifel, aber der Strand hat auch seine hässliche
Seite. Selbst dieser Blick hier ist weniger idyllisch, wenn man genau hinsieht.
Diese vielen Fliegen da drüben auf dem Seetang? Die Felsen voller Möwenmist? Und
können Sie die Dieselgase von diesem Hummerboot riechen?«
    »Ich habe mich immer schon gefragt, ob Schönheit nichts weiter ist als
das Bemühen, etwas zu erhaschen, das man nie gehabt hat«, sagt Sydney, »oder ob
sie ein Stück Kindheit ist, das man wiederhaben möchte. Das Staunen zum Beispiel
oder die Großartigkeit der Dinge.«
    »Das Licht macht sie aus«, meint Ben. »Dieselbe Szene an einem trüben
Tag ist höllisch deprimierend.«
    Ben setzt sich anders. »Manchmal glaube ich, dass es eine Art Pornografie
ist, dieses Gieren nach Schönheit«, sagt er. »Ich kenne das von meiner Arbeit zur
Genüge. Die riesigen Räume mit dem Granit und dem Edelstahl, die Fenster mit Dreifachverglasung
und die Fenstertüren, die begehbaren Schränke, so groß, wie die Wohnzimmer ihrer
Großeltern waren. Alles, was ich im Sommer zum Anziehen brauche, würde in zwei Kommodenschubladen
passen. Deshalb war ich auf Anhieb hin und weg von dem Haus«, fügt er hinzu. »Sie
waren zu höflich, um es zu sagen, aber es ist ziemlich trostlos.«
    Sydney lacht. »Es ist echt  «, sagt sie.
    Ihre salzwassergetränkte Hose trocknet zu seltsamen Formen. Auf dem Dach
ist es heiß. Wie es wohl bei einem Sturm hier oben wäre? »Ben, was ist da passiert?«,
fragt sie. »Warum hat er das getan?«
    Ben dreht sich um und sieht sie an. »Sprechen wir von Jeff?«
    »Ja.«
    Bens Gesicht bekommt etwas Hartes, Entschlossenes. »Ich kann nicht für
ihn sprechen«, sagt er, »aber ich weiß, dass wir am Flughafen, während wir auf den
Start seiner Maschine warteten, ein bemerkenswertes Gespräch geführt haben.«
    »Jeff ist nach Paris geflogen?«, fragt Sydney.
    »Er meinte, er müsse weg.«
    Obwohl Sydney sich vorgestellt hat, dass Jeff nach Paris fliegen würde,
trifft die Realität sie. »Was hat er gesagt?«
    »Er hat gesagt, er hätte etwas so Schlimmes getan wie noch nie in seinem
ganzen Leben.«
    Ein Rest von Verletztheit verdunkelt wie eine Wolke Sydneys Gemüt und
verschwindet gleich wieder.
    »Ich habe ihm zugestimmt«, sagt Ben.
    »An dem Nachmittag«, beginnt sie und zögert – jetzt nahe daran, mehr
zu vermuten, als vielleicht zutrifft –, »sagte er, er hätte es Ihnen antun wollen.«
    Ben sagt lange nichts. »Wahrscheinlich stimmt das.«
    »Bei Victoria hätte er es genauso gemacht, hat er gesagt.«
    »Stimmt.«
    »Wie war das?«
    Ben hält den Kopf gesenkt. »Vicki und ich waren uns gerade erst nähergekommen.
Wir waren vielleicht zehn Tage zusammen, höchstens zwei Wochen. Ich glaube, wir
waren einmal zusammen essen und einmal auf einem Fest. Dann haben wir auf einer
Benefizveranstaltung zufällig Jeff getroffen, und als ich das nächste Mal hinschaute,
waren sie ein Paar.«
    »Sie waren ihnen nicht böse?«
    »Sagen wir mal, ich war überrascht .« Ben hält
inne. »Ich sagte mir, soll der Bessere gewinnen, das ist jetzt Schnee von gestern.
Was hätte ich denn tun sollen? Ihn bitten, sie mir zurückzugeben?« Ben hebt den
Kopf. »Aber als er es dann wieder getan hat… Da ist mir klar geworden, dass er mir
schon Victoria absichtlich ausgespannt hatte. Das erste Mal hätte ich ihm noch verzeihen
können, aber nicht das zweite Mal, und das wusste er auch.«
    »Aber warum hat er es getan?«
    Ben zögert. »Er hat mitbekommen, dass ich mich für Sie interessiere,
also wollte er Sie haben«, sagt er nach einer kleinen Pause. »Ende der Geschichte.«
    »Das ist alles?«, fragt Sydney.
    »Das ist alles.«
    »Und ich bin ihm entgegengekommen.«
    »So ist es.«
    Sydney schließt die Augen. Scham überschwemmt sie. Sie fühlt sich dumm.
    »Jeff musste immer schon konkurrieren«, sagt Ben, der vielleicht spürt,
wie ihr zumute ist. »Zum Teil war das die natürliche Ordnung der Dinge, zum Teil
war es einfach Jeffs Ding. Als ich zwölf war, war Jeff acht. Als ich achtzehn war,
war er vierzehn. Natürlich war ich in den meisten Dingen besser als er. Im Sport
zum Beispiel; auf dem Gebiet konnte er nie mithalten. Er hat es immer wieder versucht,
aber schließlich hat er aufgegeben und
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