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Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht am Strand: Roman (German Edition)
Autoren: Anita Shreve
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Mutter in Troy für
den Eistee genommen hat. An der Wand neben einer Arbeitsplatte ist eine Petroleumlampe.
    »Es gibt weder fließendes Wasser noch Strom«, erklärt Ben. »Der Herd
und der Kühlschrank werden mit Propangas betrieben. Kommen Sie, ich zeige Ihnen
die anderen Räume.«
    Sie treten in ein reizloses Wohnzimmer mit dünnen weißen Vorhängen an
den Fenstern. Neben einer Gaslampe hängt ein Windspiel von der Zimmerdecke herab,
das sich im Luftzug bewegen soll, wenn die Haustür offen ist. Der Holzfußboden ist
nackt, das Mobiliar besteht aus einem Sofa aus Ahornholz mit einem blauen Quilt,
einem Chromstuhl aus den Neunzehnhundertsiebzigern, vier grünen Plastikstühlen,
die eigentlich auf eine Veranda gehören, zwei schönen alten Rohrstühlen, naturfarben,
und, auf der einen Seite, einem runden Tisch, auf dem eine mit roten Hummern bedruckte
Wachstuchdecke ausgebreitet ist. Ein abgetretener Flechtteppich, der zu nichts passt,
liegt in der Mitte des Raums.
    In dem kleinen Schlafzimmer hat nicht viel mehr Platz als ein Bett und
eine Kommode, und das Badezimmer sieht aus, als wäre es kürzlich von Fischern benutzt
worden. Das Esszimmer mit der schrägen Decke und den nackten blauen Planken der
Wände gefällt Sydney. Ein Wachstuch mit Blumenmuster liegt auf einem dunklen Tisch
mit Stühlen und einer Kredenz, die im Stil zu ihm passen. Das Ensemble wirkt seltsam
förmlich. In der Mitte des Tischs steht eine Petroleumlampe aus grünem Glas, und
Sydney stellt sich ein Abendessen beim Licht dieser Lampe vor. Auf dem Fensterbrett
bemerkt sie ein Essigfläschchen, eine zusammengerollte Fahne, einen Handfeger.
    »Gehört es Ihnen?«, fragt sie Ben, der mit den Händen in den Hosentaschen
an der Tür steht.
    »Ich habe es gerade übernommen. Es muss noch eine Menge daran gemacht
werden.«
    »Die Leute, denen es gehört hat, haben das ganze Zeug hiergelassen?«
    »Bei einem Inselhaus geht das nicht anders. Es ist viel zu umständlich,
alles wieder aufs Festland zu schleppen.«
    »Wann haben Sie es gekauft?«
    »Als ich erfuhr, dass meine Mutter das Sommerhaus verkaufen will.«
    »Es ist ziemlich schräg«, sagt Sydney. »Aber irgendwie auch richtig toll – als würde man in eine andere Zeit zurückversetzt.«
    Ben geht ihr voraus die schmale Stiege hinauf. »Hier im ersten Stock
sind drei winzige Zimmer«, erklärt er, »aber ich reiße die Wände raus und mache
einen großen Raum aus ihnen. Kommen Sie, ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
    Auf dem Treppenabsatz öffnet Ben ein Fenster und steigt zum leicht abgeschrägten
Dach der Veranda hinaus. »Kommen Sie«, fordert er sie auf. »Es ist ziemlich gerade.«
    Sydney kriecht auf das Dach hinaus, die Abdeckung kratzt an ihren Knien.
Als sie sich richtig hingesetzt hat, fällt ihr Blick auf ein atemberaubendes Panorama
von Inseln und Wasser. Außer dem schwachen Schlag des Wassers an die Felsen ist
nichts zu hören. »Der Blick ist ja phantastisch«, sagt Sydney. »Wohnen hier wirklich
Leute?«
    »Man kann hier nicht das ganze Jahr über leben. Keines der Häuser ist
winterfest. Aber im Sommer sind Leute hier. Ich habe ein paar von ihnen kennengelernt.«
    »Wie kommt man her und wieder weg?«, fragt sie.
    »Bei Ebbe kann man zu Fuß gehen. Auf der anderen Seite ist eine Sandbank.
Man kann auch mit dem Wagen fahren, aber da braucht man schon Vierradantrieb. Ich
hätte den Land Rover nicht verkaufen sollen. Meistens komme ich mit dem Boot her.
Diesen Herbst möchte ich noch ein bisschen was am Haus machen, da besorge ich mir
wahrscheinlich einen gebrauchten Kleinlaster.«
    »Jetzt bin ich völlig durcheinander«, sagt Sydney. »Was ist denn mit
Ihrer anderen Arbeit?«
    »Man könnte vielleicht sagen, ich habe mir einen längeren Urlaub genommen.
Genauer gesagt, einen Urlaub unbestimmter Dauer.«
    »Haben sie Sie rausgeworfen?«
    Er lacht. »Nein. Ich habe gekündigt. Fürs Erste jedenfalls.«
    Ben lehnt sich an den Fensterrahmen. »Früher hat beinahe die ganze Küste
von Neuengland so ausgesehen«, sagt er. »Niedrige kleine Häuser ohne fließendes
Wasser und ohne Strom. Bei uns am Strand standen noch ein, zwei von ihnen, als meine
Eltern das große Haus kauften, aber die sind jetzt auch weg. Abgerissen, um neuen
Bauvorhaben Platz zu machen.«
    Sydney ist beeindruckt von der Einfachheit des Bildes. »Irgendwie ist
so viel Schönheit beunruhigend, nicht wahr?«, sagt sie. »Man möchte sie für immer
behalten, aber das geht nicht. Ihr Vater hat einmal gesagt, dass die
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