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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten
Autoren: Unbekannter Autor
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Wehen eingesetzt?« fragte sie.
    »Ungefähr vor einer Stunde. Ich wußte, ich konnte nicht weiter, ich mußte einfach irgendwo bleiben.«
    Mrs. Cozzolina untersuchte sie.
    Das Mädchen hatte ein wenig Angst. Dies hier war so anders, als sie es sich gedacht hatte. Sie hatte sich immer vorgestellt, George sei ganz in der Nähe, irgendwo im Hintergrund. Er würde sie trösten und ihr sagen, daß alles gutgehen würde.
    Sie war zierlich - sehr eng gebaut. Es würde schwer für sie werden. Das Becken war zu eng, so daß das Baby nicht leicht kommen würde. Immerhin würde es noch sechs oder sieben Stunden dauern, und vielleicht würde sich alles doch mehr dehnen, als zu erwarten war. Das war immer etwas Wunderbares: zu sehen, wie ein Mädchen sich in eine Frau verwandelte, die fähig war, ein Kind zur Welt zu bringen. Aber hier schien es schwierig zu werden. Mrs. Cozzolina hatte das im Gefühl, aber ihr Gesicht verriet keinen ihrer Gedanken. »Sie müssen sich noch etwas gedulden«, sagte sie lächelnd. »Aber machen Sie sich keine Sorgen. Es wird schon alles gutgehen. Ich weiß, wie es ist, ich habe selbst sieben Kinder.«
    Das Mädchen lächelte ängstlich zurück. »Ich danke Ihnen, ich danke Ihnen sehr.«
    »Versuchen Sie jetzt etwas zu schlafen«, sagte Mrs. Cozzolina und ging zur Tür. »Ich komme in einigen Stunden wieder, um zu sehen, wie Sie sich fühlen.«
    Das Mädchen hatte die Augen geschlossen und versuchte zu schlafen, aber es gelang ihr nicht. Gedanken huschten durch ihren Kopf wie ferne Bilder, die man vom Zugfenster aus sah -ihr Elternhaus und George. Dorthin gingen sie immer wieder zurück: zu ihrem Elternhaus und zu George. »Was mögen sie jetzt von mir denken? Und George, wo kann er sein?« Sie hatten sich verabredet an jenem Tage. So lange lag das nun schon zurück. Es hatte geregnet damals. Fröstelnd hatte sie zwei Stunden im Restaurant an der Ecke gewartet, ehe sie wieder nach Hause ging.
    Am nächsten Morgen hatte sie sein Büro angerufen. Man sagte ihr, daß er am Abend vorher um die übliche Zeit fortgegangen sei, daß er aber bis jetzt noch nicht wiedergekommen wäre. Und dann blieb er verschwunden. Sie hatte nie wieder etwas von ihm gesehen oder gehört. Und das war es, was sie nicht verstand. Er war nicht der Mann, der sich einfach davonmachte. Es mußte ihm irgend etwas zugestoßen sein.
    Erst als es schon dunkel war, betrat Mrs. Cozzolina wieder das Zimmer des Mädchens. »Wie fühlen Sie sich?« fragte sie.
    »Ganz leidlich«, sagte das Mädchen.
    »Wie oft kommen die Wehen?« fragte Mrs. Cozzolina und beugte sich über das Mädchen, um sie erneut zu untersuchen.
    »Ungefähr alle halbe Stunde.«
    »Das ist gut«, sagte Mrs. Cozzolina und richtete sich auf. Aber das war es ganz und gar nicht - es war keinerlei Erweiterung eingetreten. Sie ging nach unten und befahl ihren Töchtern, heißes Wasser und saubere Tücher bereitzuhalten.
    Um Mitternacht entlud sich ein schweres Gewitter über der Stadt. Und um Mitternacht begann das Baby zu kommen. Das Mädchen lag sehr ruhig da, die Lippen fest zusammengepreßt, und gab keinen Laut von sich. Ihre angsterfüllten Augen lagen in ihrem bleichen Gesicht wie zwei große schwarze Seen.
    Gegen zwei Uhr morgens schickte Mrs. Cozzolina ihren ältesten Sohn, um Doktor Buonaventa, der an der nächsten Straßenecke wohnte, zu holen. Und es würde auch nichts schaden, fügte sie hinzu, wenn er auf dem Rückweg den Priester mitbrächte.
    Mrs. Cozzolina sah zu, wie der Doktor in fliegender Hast einen Kaiserschnitt vornahm und das blaue, zappelnde Kind zutage förderte. Mit ein paar kräftigen Klapsen brachte sie Leben in das kleine Geschöpf, das mit zornigem Aufschrei gegen das Verlassen seines warmen, behaglichen Schlupfwinkels protestierte. Sie sah, wie der Dokter sich verzweifelte Mühe gab, das Leben des Mädchens zu retten. Und sie wußte, daß er den Kampf verloren hatte, als er dem Priester Platz machte. Während der Priester sich über das Mädchen beugte, kniete sie neben dem Bett nieder und betete. Sie betete, weil das Mädchen so jung und so tapfer war. Und weil Mrs. Cozzolina ihren eigenen Mann verloren hatte.
    Das Mädchen blickte sie angstvoll fragend an. Da hielt Mrs. Cozzolina ihr das schreiende Baby entgegen und legte es neben sie auf das Bett. Die junge Frau sah es an und legte ihre Wange an das kleine Köpfchen. Dann schloß sie langsam die Augen.
    Mrs. Cozzolina erinnerte sich plötzlich daran, daß sie den Namen des Mädchens nicht
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