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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten
Autoren: Unbekannter Autor
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vordere Zimmer.
    »Du kommst am besten wieder, wenn du erwachsen bist, Kleiner«, meinte sie lachend. »Ich sage immer: >Kinder können keine Männerarbeit tun.<«
    Ich spürte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich, wie immer, wenn ich wütend war. Ich hätte sie am liebsten mit meinem Schuhputzkasten geschlagen. Das mußte sie gespürt haben, denn ihre Augen weiteten sich, und sie trat einen Schritt zurück. Ich fühlte, wie sich mir der Magen krampfte, und warf ihr einen finsteren Blick zu.
    »Du brauchst doch nicht gleich...«, sagte sie, als sich plötzlich die Tür öffnete.
    Es war Ray. »Hier ist das Bier, Mary«, sagte er.
    Ich hob meinen Schuhputzkasten auf und ging auf den Flur.
    Ich hörte, wie Ray sie etwas fragte, und ich hörte sie lachen. Dann erschien sie an der Tür. Sie gab Ray einen Dime für die Besorgung. Dann, als sei es ihr gerade eingefallen, sagte sie: »Hier ist auch noch ein Dime für deinen Freund, weil er auf dich gewartet hat.« Damit warf sie mir die Münze zu und schloß die Tür.
    Ich fing den Dime auf und schleuderte ihn gegen die geschlossene Tür. »Du gemeine, gottverfluchte Hure!« schrie ich, und ohne Ray anzusehen, rannte ich die Stufen hinab und zum Haus hinaus.
    Fünfzehn Tage noch, dann gab es Ferien. Ich konnte es kaum abwarten. Denn dann konnte ich den ganzen Tag für Keough arbeiten und richtig Geld verdienen.
    Ich verließ an diesem Nachmittag die Schule zusammen mit Jerry Cowan. »Hast du heute nachmittag was Besonderes vor?« fragte er.
    »Warum?«
    »Och, nichts. Ich meine nur.«
    Wir schlenderten eine Weile dahin, ohne etwas zu sagen. Dann fragte Jerry plötzlich: »Frankie, hättest du Lust, diesen Sommer mit mir aufs Land zu fahren?«
    »Mach keine Witze«, sagte ich.
    »Das ist kein Witz. Ich meine es wirklich. Ich habe Papa gefragt, und er sagt, ich sollte dich in dieser Woche mal zum Essen einladen, und dann würden wir darüber reden.«
    »Quatsch!« sagte ich. »Sie würden mich wahrscheinlich sowieso nicht gehen lassen.«
    »Das würden sie bestimmt, wenn mein Vater sie darum bittet. Du weißt doch, wer er ist?«
    Ja, ich kannte seinen Vater. Jeder kannte ihn - den großen Jerry Cowan, den lächelnden Bürgermeister von New York. Bilder von ihm waren jeden Tag in der Zeitung - wie er, eine Nelke im Knopfloch, mit blitzenden Zähnen die Vertreter irgendeines Kaninchenzüchter-Vereins händeschüttelnd begrüßte. Kein Zweifel, Jerrys alter Herr konnte fast alles haben, was er wollte.
    Wir waren inzwischen bis zur Tür des Billardsaales gekommen. Ich blieb stehen und blickte hinein. Aber es war so
    dämmerig im Raum, daß ich kaum etwas sehen konnte. Ich dachte an den Sommer, den ich hier verbringen würde in dem Gestank von Alkohol und Toilettengeruch. Dann dachte ich an den Sommer mit Jerry auf dem Lande. Wahrscheinlich wohnte er in einem eleganten Haus mit Dienstboten und allem Drum und Dran. Man würde fischen und schwimmen können und alles mögliche. So ein Sommer mußte toll sein. Ich wandte mich zu Jerry: »Nee, Jerry, aber trotzdem vielen Dank. Sie - ich meine -ich habe hier einen Job. Diesen Sommer muß ich arbeiten. Ich kann nicht immer mit leerem Portemonnaie rumlaufen. Ich muß ein bißchen Kies machen. Und außerdem hasse ich das Land, verdammt noch mal! Da kriege ich immer das heulende Elend.«
    Jerry sah mich an, und dann lachte er. Jerry war nicht von gestern. Er wußte, was in mir vorging. Jerry war ein merkwürdiger Freund. Es war nicht leicht, mit ihm Freundschaft zu schließen, aber er war auch nicht hochnäsig. Er war eben -eigen.
    »Na, schön«, sagte er, »wenn dir das lieber ist. Aber du kannst doch wenigstens an einem Abend mal zum Essen zu uns kommen.«
    »Mach' ich. Aber jetzt muß ich reingehen und arbeiten.« Ich sah ihm nach, wie er die Straße entlangging und dann um die Ecke bog.
    Dann drehte ich mich um und schaute in den Saal. Die Uhr an der Rückwand zeigte Viertel nach drei. Es war noch früh. Ich brauchte erst um vier anzutreten, und im Moment hatte ich keine besondere Lust zum Arbeiten. Keough sprach mit irgendeinem alten Knacker und sah mich nicht. Ich duckte mich, wetzte die Straße hinauf und setzte mich auf die Treppe eines alten Mietshauses in die Sonne, um die Zeit bis vier totzuschlagen. Ich dachte über Jerrys Vorschlag nach.
    Plötzlich hörte ich Geschrei auf der anderen Straßenseite. Ein paar Jungen, die ich kannte, hatten einen Judenjungen in die
    Mangel genommen. Ich sah mit mäßigem Interesse zu, aber ich
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