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Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)

Titel: Die Mitte des Weges: Roman (German Edition)
Autoren: Volker Ferkau
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als zwanzig Jahre auf der gepflegten Oberfläche zu haben, lediglich die Einbauküche überstrahlt die Trostlosigkeit deutscher Einrichtungssünden.
    Frau Wille ruft das Taxi, und Madeleine fragt sich, warum sie sich so unsinnig verhält. Was will sie am Bahnhof? Sie hat Frank gesucht und gefunden.
    Nun kann sie es loswerden. Jetzt ist der Moment gekommen, um zu sagen: »Frank Wille, du bist mein Vater!« Und: »Frank Wille, du und deine Frau, ihr seid vermögend!«
    Doch sie vermag es nicht. Dieser hochgewachsene Mann steht neben ihr und wartet, dass das Taxi kommt. Er riecht nach Schweiß und seine Hände sind grün vom Gras. In der Küche steht eine Platte mit Brötchenhälften, fein belegt mit Mett und Gewürzgurke.
    Frau Wille legt auf und wendet sich an ihren Mann. »Das Taxi kommt gleich.« Dann geht sie in die Küche und Frank verzieht den Mund. Er winkt Madeleine hinter sich her und sie holt erleichtert Luft, als sie nach draußen tritt.
    » Sie mag keine Fremden im Haus«, sagt Frank. »Hat nichts mit Ihnen zu tun.«
    Und als Stieftochter wird sie mich hassen, während Frank stirbt und ich diese Frau noch zwei Jahrzehnte am Hals habe!, begreift Madeleine. Arme Kinder. Wie heißen sie? Thomas und Ottilie, hat sie in Erfahrung gebracht. Durften vermutlich nie Freunde zum Spielen mit ins Haus bringen! Und erstaunlich, wie tolerant Frank ist. Sie hat einen guten Vater verpasst, sagt sie sich. Doch nun ist es zu spät. Nun würde die Wahrheit wie eine Bombe wirken, die dieses Haus und die damit verbundenen Rituale in die Luft sprengt.
    »Ich hätte Ihnen gerne noch mit dem Stromkabel geholfen. Sie müssen aufpassen, dass Sie keinen Stromschlag kriegen, wenn Sie es zerschneiden«, sagt Madeleine.
    » Woher kommen Sie?«, fragt Frank. »Sie sind keine Deutsche?«
    » Aus Frankreich.«
    Er lächelt versonnen. »Ja, ich kenne Frankreich. War eine Weile dort.«
    » Wo?«
    » In Paris. Ich kannte dort jemanden. Na ja ...« Er macht eine hastige Handbewegung. »Ist lange her und es sind keine schönen Erinnerungen.«
    » Keine schönen Erinnerungen?«
    Er blinzelt schelmisch, ein Charmeur alter Schule. »Wie sagt Goethe im Werther? Liebe ist menschlich, doch ihr müsst menschlich lieben! Und jemand anderes sagte: Liebe ist kein Solo. Liebe ist ein Duett. Schwindet sie bei einem, verstummt das Lied.« Er lächelt scheu. »Aber ich will Sie nicht langweilen.«
    » Eine unglückliche Liebe also?«
    Er wirkt verlegen, als frage er sich, warum er so viel über sich offenbart. Er blickt zur Haustür, als erwarte er seine Frau mit den Brötchen, und der Blick hat etwas Hilfesuchendes.
    »Ihr Taxi«, sagt er und wirkt erleichtert, als der Mercedes vor dem Haus hält.
    Wann hat er das letzte Mal mit einem fremden Menschen ein Gespräch geführt?, fragt sich Madeleine. Er wirkt einsam und völlig auf seine Frau bezogen. Vielleicht würde ihn eine neue Tochter beleben – und das Geld sowieso.
    Sie steigt ins Taxi. Frau Wille kommt aus dem Haus. Frank läuft zu ihr und kehrt sofort wieder um. Er rennt zum Taxi, hustet und schnappt nach Luft. »Das habe ich fast vergessen. Bestes Mett. Mit Gurkenscheiben belegt. Ich hoffe, Sie mögen Gurken.«
    Er reicht ihr die Brötchenhälfte durchs Seitenfenster, sie will noch etwas sagen, aber das Taxi fährt los. Auf dem Weg zum Bahnhof weint sie, ohne einmal vom Brötchen abzubeißen.

13
     
    »Ist das die Strafe?«, fragt Mike mit brüchiger Stimme. »Die Strafe dafür, dass ich zwei Menschen töten ließ?«
    » Du hast es nicht gewollt«, sagt Arndt. »Es war ein Unfall.«
    » Dann werde ich der Polizei ein Geständnis ablegen, Arndt. Ich habe nichts mehr zu verlieren. In ein paar Wochen bin ich sowieso tot und die Mörder kommen sonst ungestraft davon.«
    Arndt sagt nichts und sieht Mike an.
    Ein Mensch, der nur noch neunzig Pfund wiegt, ist kein Mensch mehr. Alles an ihm wirkt glanzlos, ist nicht mehr rational greifbar. Kein Wesen, das man herzt und streichelt, dafür sind die Knochen zu gewöhnlich, der Schädel zu deutlich. Dort im Bett liegt ein lebender Toter, eine Horrorvision mit dunklen großen Augen, kahlem Kopf, dem die Haare ausgefallen sind, abstehenden Ohren und bizarr groß wirkenden Zähnen. Die Finger sind knotige Krallen, lediglich die Stimme ist die von Mike Stern.
    » Stell dir vor, ich weiß nichts mehr über das Zeitgeschehen.«
    » Was meinst du?«
    » Ich war mal Journalist, oder hast du das vergessen? Mann, ich habe im Palais Schaumburg mit Ludwig Ehrhard Skat
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