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Die Merowinger - Zorn der Götter

Die Merowinger - Zorn der Götter

Titel: Die Merowinger - Zorn der Götter
Autoren: Robert Gordian
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Mönchsgemeinschaften gehörte. Der Junge war als Findelkind ins Kloster geraten und wurde dort von den Vätern und Brüdern aufgezogen. Damit er während ihrer Reise in die Francia nicht verwahrloste, hatten sie ihn mitgenommen. Auch dieser Knabe war sehr einfältig, doch hatte er eine schöne, klare Stimme, mit der er ein vortreffliches »Kyrie« schmettern konnte. Chundo nahm ihn jetzt öfter beiseite und übte mit ihm.
    So war alles vorbereitet, als endlich der große Tag anbrach. Wie nicht anders zu erwarten, suchte die fromme Braut am Morgen vor dem Akt der Eheschließung Stärkung und Zuversicht im Gebet. Remigius selbst zelebrierte die Messe in der provisorischen Kirche, sein Bruder Principius ministrierte.
    Dem Diakon Chundo war das sehr recht, konnte er so doch alle Sinne auf den wichtigsten Augenblick richten. Vorgesehen war, dass König Chlodwig seine Braut nach ihrem Kirchgang aus den Gemächern in einem Seitenflügel des Palastes, die vorübergehend als ihre elterliche Wohnung galten, feierlich einholte. Im Palasthof sollte dann vor den versammelten Gästen der Ehevertrag verlesen werden. Den hatten die Könige Gundobad und Godegisel schon gesiegelt. Indem ihn jetzt auch der Bräutigam siegelte, würde er in Kraft treten. Das hohe Paar sollte dann feierlich in die Halle des Palastes einziehen, wo das Festmahl stattfinden würde.
    In dem Augenblick nun, da sich der König Chlodwig und die Königin vor Hunderten Zuschauern küssten, sollte das Wunder geschehen. Vom Himmel (das heißt, vom Dach des Palastes) sollte die Stimme eines Engels erschallen, und eine jubilierende Vogelschar sollte sich in die Lüfte erheben, um aller Welt von dem glücklichen Ereignis zu künden. Diese erhabene Demonstration höheren Einverständnisses musste den König beeindrucken und sein Heidenherz rühren. Und alle Welt würde den »heiligen Chundo« preisen, der den Engel und die Vögel herbeigerufen hatte.
    Der hakennasige Diakon war durchaus nicht hybrid, wenn er sich diesen Erfolg versprach. In jenem Säkulum der Unwissenheit, Gewalt und Angst konnte kein Mittel grob genug sein, um wundergläubige Menschen zu täuschen. Da es der überwiegenden Mehrheit an Vernunft und Bildung mangelte, blickte man staunend um sich und sah überall Unerklärliches. Die Welt war voller unfasslicher Dinge, und was man nicht begreifen konnte, musste von einem Gott gemacht oder – wenn er sich eines menschlichen Mediums, eines Heiligen, bediente – inspiriert sein.
    Manchmal konnte allerdings ein Gott dem anderen ins Gehege kommen. Diesen Fall hatte der Diakon Chundo nicht vorausgesehen.
    Da seine künftige Gemahlin sich vor der Hochzeit göttlichen Beistands versicherte, hielt König Chlodwig es für angebracht, seinerseits die höheren Mächte anzurufen und um Nachsicht dafür zu bitten, dass er sich eine Andersgläubige ins Ehebett holte. Vor kurzem erst hatte er – einem neueren Brauch folgend – in einem Waldstück vor den Toren der Stadt einen kleinen Tempel für Donar errichten und darin sogar eine Säule mit dem bärtigen Antlitz des Gottes aufstellen lassen. Dorthin war er bereits um Mitternacht mit kleinem Gefolge aufgebrochen. Er hatte ein paar Ziegen, die Donar bevorzugte, zum Opfer gebracht, den alten Germanengott laut seiner unverbrüchlichen Treue versichert und ihn als Beschützer der Ehe und Spender der Fruchtbarkeit um viele starke, gesunde Söhne gebeten. Der Priester hatte ihn reichlich mit dem Opferblut der Ziegen besprengt, und so war er zufrieden und hoffnungsvoll in den Palast zurückgekehrt. Er hatte allerdings dafür Sorge getragen, dass die empfindsame Braut ihren blutbespritzten Bräutigam nicht zu Gesicht bekam.
    Am Vormittag um die dritte Stunde versammelten sich die Hochzeitsgäste im Palasthof. Es war ein warmer Septembermorgen. Noch schien die Sonne, doch richteten sich immer wieder besorgte Blicke zum Himmel, wo dunkles Gewölk herabtrieb.
    Die Mehrzahl der Damen war auf römische Art gekleidet, in luftige, seidene Stolen und Tuniken, die der Wind blähte und flattern ließ. Er zauste auch an den sorgsam getürmten, geflochtenen und gebrannten Frisuren. Gold, Perlen und edle Steine glänzten an Hälsen und Armen. Bei den Männern dominierte die einfache fränkische Tracht der Antrustionen, doch zeigten die burgundischen Herren auch römische Eleganz. Man stand in Grüppchen beisammen, unterhielt sich und wartete. Schon vor einer geraumen Weile war der König im Seitenflügel verschwunden, um seine Braut
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