Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mehrbegabten

Die Mehrbegabten

Titel: Die Mehrbegabten
Autoren: Philip K. Dick
Vom Netzwerk:
fünfzig Milligramm Phenmetrazinhydrochlorid und dreißig Stelladrin, zum nachspülen Natriumacetylsalycilsäure.«
    »Mit dem Stelladrin träumen Sie von vielen fernen Sternen«, meinte der Barmann. Er stellte Nick einen winzigen Teller hin, holte die Pillen und anschließend in einem Plastikglas die Natriumacetylsalycilsäurelösung. Nachdem er Nick alles serviert hatte, trat er zurück und kratzte sich nachdenklich am Ohr.
    »Hoffentlich.« Nick schluckte die drei kärglichen Pillen – gegen Ende des Monats konnte er sich nicht mehr leisten – und trank die brackige Lösung.
    »Bringen Sie Ihren Sohn zu einer Bundesprüfung?«
    Nick zog die Brieftasche heraus und nickte.
    »Glauben Sie, daß die abgekartet sind?« fuhr der Barmann im Plauderton fort.
    »Weiß ich nicht«, sagte Nick kurz.
    Der Barmann stützte sich mit den Ellenbogen auf die polierte Theke und beugte sich vor. »Ich glaube, sie sind es.« Er nahm das Geld, das Nick ihm gab, und betätigte die Registrierkasse. »Ich sehe Leute hier vierzehn-, fünfzehnmal vorbeikommen. Nicht bereit, sich damit abzufinden, daß sie – oder in Ihrem Fall Ihr Kleiner – die Prüfung nicht bestehen werden. Sie versuchen es wieder und wieder, und heraus kommt immer dasselbe. Die Neuen Menschen lassen niemand anderen in den Staatsdienst. Sie wollen – « Er schaute sich um und senkte die Stimme. »Sie haben nicht vor, ihre Macht mit irgend jemandem zu teilen. In ihren Regierungsreden geben sie es ja praktisch zu. Sie – «
    »Sie brauchen frisches Blut«, sagte Nick beharrlich… sagte es zum Barmann, wie er es schon so oft zu sich selbst gesagt hatte.
    Der Barmann antwortete: »Sie haben selber Kinder.«
    »Nicht genug.« Nick schlürfte am Plastikglas. Er spürte schon, wie das Phenmetrazinhydrochlorid wirkte, sein Selbstwertgefühl steigerte, seinen Optimismus; er empfand tief in seinem Innern ein mächtiges Glühen. »Wenn herauskäme, daß die Staatsprüfungen beeinflußt sind, würde diese Regierung binnen vierundzwanzig Stunden abgewählt werden, und die Außergewöhnlichen träten an ihre Stelle. Glauben Sie, die Neuen Menschen wollen, daß die Außergewöhnlichen regieren? Guter Gott!«
    »Ich glaube, sie arbeiten zusammen«, sagte der Barmann – und entfernte sich, um einen anderen Gast zu bedienen.

    Wie oft, sagte sich Nick, als er die Bar verließ, habe ich das nicht selbst schon gedacht. Herrschaft zuerst der Außergewöhnlichen, dann der Neuen Menschen… wenn sie es wirklich verabredet haben, die Prüfapparatur in der Hand zu behalten, würden sie, wie er gesagt hat, eine sich selbst fortsetzende Machtstruktur darstellen; aber unser ganzes politisches System beruht auf der wechselseitigen Feindseligkeit dieser beiden Gruppen… sie ist die Grundwahrheit unseres Lebens – sie und das Eingeständnis, daß sie infolge ihrer Überlegenheit zu herrschen verdienen und das mit Weisheit tun können.
    Er zwängte sich durch das Gedränge und stieß auf seinen Sohn, der gebannt in ein Schaufenster starrte. »Gehen wir«, sagte Nick und legte die Hand mit Festigkeit – die Drogen hatten sie ihm verschafft – auf die Schulter des Jungen.
    Bobby rührte sich nicht von der Stelle. »Die verkaufen ein Messer mit Fernschmerzwirkung«, sagte er. »Kann ich eines haben? Ich hätte mehr Selbstvertrauen, wenn ich es bei der Prüfung trüge.«
    »Das ist ein Spielzeug«, sagte Nick.
    »Trotzdem«, meinte Bobby. »Bitte. Ich würde mich wirklich viel besser fühlen.«
    Eines Tages wirst du nicht durch Fernschmerzwirkung herrschen müssen – über Gleichgestellte herrschen, deinen Herren dienen, dachte Nick. Du wirst selbst zu den Herren gehören, und dann kann ich zufrieden alles hinnehmen, was ich rings um mich vorgehen sehe. »Nein«, sagte er und führte seinen Sohn in den dichten Passantenverkehr zurück. »Versteif dich nicht auf konkrete Dinge«, setzte er rauh hinzu. »Denk an Abstraktes, an NeutrologikProzesse. Danach werden sie fragen.« Der Junge zögerte. »Los!« fauchte Nick und stieß ihn weiter. Er empfand beinahe körperlich den Widerwillen des Jungen und die drückende Last des Versagens.
    So war es nun schon seit fünfzig Jahren, seit 2085, als der erste Neue Mensch gewählt worden war… acht Jahre, bevor der erste Außergewöhnliche dieses hohe Amt angetreten hatte. Damals war das noch neuartig gewesen; jedermann hatte sich gefragt, wie die neu entwickelten, irregulären Typen sich in der Praxis bewähren würden. Sie hatten sich gut gehalten –
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher