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Die Mehrbegabten

Die Mehrbegabten

Titel: Die Mehrbegabten
Autoren: Philip K. Dick
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lärmend in der Hoffnung auf eine Antwort.
    Gott sei uns gnädig, dachte Weiss, wenn er sie jemals finden sollte.
    Aber er hatte keine Angst vor Provoni, so wenig wie die anderen seiner Art. Ein paar nervöse Außergewöhnliche murrten leise miteinander, als aus den Monaten Jahre wurden und Provoni weder starb noch eingefangen werden konnte. Thors Provoni war ein Anachronismus: Er blieb der letzte der Alten Menschen, die die Geschichte nicht akzeptieren konnten, die von orthodoxer und gedankenloser Aktion träumten… er lebte in einer trostlosen Vergangenheit, die zumeist nicht einmal Wirklichkeit war, in einer traumlosen, toten Vergangenheit, die man nicht zurückholen konnte, nicht einmal ein so begabter, so gebildeter, so aktiver Mann wie Provoni. Er ist ein Pirat, sagte sich Weiss, eine quasi romantische Gestalt, die Heldentaten vollbringen will. In gewisser Beziehung werde ich ihn vermissen, wenn er stirbt. Schließlich sind wir alle einmal aus den Alten Menschen entstanden; wir sind verwandt mit ihm, weitläufig.
    Zu Pikeman, seinem Vorgesetzten, sagte er: »Es ist eine Last. Sie haben ganz recht.« Eine Last, dachte er, diese Aufgabe, diese Staatsdienst-Einstufung. Ich kann nicht zu den Sternen hinauffliegen; ich kann nicht etwas, das nicht existiert, bis in die fernen Windungen des Alls verfolgen. Was werde ich empfinden, wenn wir Thors Provoni vernichten? sinnierte er. Meine Arbeit wird nur noch mühsamer werden. Und trotzdem gefällt sie mir. Ich würde sie niemals aufgeben. Ein Neuer Mensch zu sein, heißt, etwas zu sein.
    Vielleicht bin ich ein Opfer unserer eigenen Propaganda, dachte er.
    »Wenn Appleton den kleinen Robert vorbeibringt, soll der Junge die ganze Prüfung machen«, sagte Pikeman, »Danach sagen Sie ihnen, daß die Einstufung erst in einer Woche erfolgen kann. Auf diese Weise ist der Schlag leichter zu verdauen.« Er grinste schief und fügte hinzu: »Und Sie brauchen ihnen die Mitteilung nicht zu machen – sie erfolgt schriftlich. «
    »Es macht mir nichts aus, es ihnen zu sagen«, erklärte Weiss. Aber es machte ihm doch etwas aus. Denn wahrscheinlich würde es nicht die Wahrheit sein.
    Die Wahrheit, dachte er. Wir sind die Wahrheit; wir erschaffen sie: sie gehört uns. Gemeinsam haben wir eine neue Karte gezeichnet. Während wir wachsen, wächst sie mit uns; wir verändern uns. Wo werden wir nächstes Jahr sein? fragte er sich. Niemand konnte es wissen… außer den Präkognitiven unter den Außergewöhnlichen, und sie sahen gleichzeitig viele Zukunftsversionen, wie Reihen von Guckkästen, so hatte er gehört.
    Die Stimme seiner Sekretärin tönte aus dem Sprechgerät: »Mr. Weiss, ein Mr. Nicholas Appleton und sein Sohn möchten Sie sprechen.«
    »Schicken Sie sie herein«, sagte Weiss und lehnte sich in seinem großen NaugaKunstledersessel zurück. Auf seinem Schreibtisch lag das Prüfungsformular; er hantierte nachdenklich damit und sah es aus den Augenwinkeln heraus verschiedene Formen annehmen. Er kniff die Augen für eine Sekunde fast ganz zu… und machte das Formular in seinem Gehirn genau zu dem, was es sein sollte.

    2

    Kleo Appleton schaute in ihrer winzigen Wohnung hastig auf die Uhr und zitterte. So spät, dachte sie. Und so wenig, wenig Zweck. Vielleicht kommen sie nie mehr wieder; vielleicht sagen sie etwas Falsches und werden in eines dieser Internierungslager gebracht, von denen man hört.
    »Er ist ein Narr«, sagte sie zum Fernsehgerät. Und aus dem Lautsprecher ertönte Klatschen, als das unwirkliche »Publikum« applaudierte.
    »Mrs. Kleo Appleton«, verkündete der »Sprecher«, »aus North Platte, Idaho, sagt, ihr Mann sei ein Narr. Was halten Sie davon, Ed Garley?« Ein dickes, rundes Gesicht erschien auf dem Bildschirm, und die Fernsehpersönlichkeit Ed Garley überlegte sich rasch eine witzige Antwort. »Finden Sie, daß es absurd ist, wenn ein erwachsener Mann sich für einen Augenblick einbildet, daß – «
    Sie schaltete das Gerät ab.
    Vom Herd in der Rückwand des Wohnzimmers drang der Duft von Ersatz-Apfelkuchen herüber. Sie hatte die Hälfte ihrer Wochenlohnabschnitte dafür hergegeben, dazu noch drei gelbe Rationenmarken. Und sie sind nicht zum Essen, sagte sie sich. Aber das ist wohl nicht so wichtig. Im Vergleich mit allem anderen. Das war vielleicht der wichtigste Tag im Leben ihres Sohnes.
    Sie brauchte jemanden, mit dem sie reden konnte, während sie wartete. Diesmal reichte das Fernsehgerät nicht aus.
    Sie verließ die Wohnung, ging durch den
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