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Die Medizinfrau

Die Medizinfrau

Titel: Die Medizinfrau
Autoren: Emily Carmichael
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Hauskonzert morgen abend.«
    »Unsinn«, lächelte Rachel Olivia Baron. »Das stört mich nicht im geringsten, Amy.«
    »Aber wie die beiden geredet haben! Es ist furchtbar, und ich schäme mich für sie und die ganze Stadt, die dich wie ein exotisches Tier im Zoo anstarrt, seit du nach Elkhorn gekommen bist. Es macht mich wütend! Du machst die lange, beschwerliche Reise von New York nach Elkhorn, um meiner Freundin beizustehen. Man müßte doch erwarten, daß die Leute deine Großmütigkeit und Güte zu schätzen wüßten. Statt dessen behandeln sie dich, als seist du eine Aussätzige. Ihr Benehmen bringt mich wirklich auf die Palme, das kann ich dir sagen.«
    »Du bist allzu leicht auf die Palme zu bringen«, lächelte Olivia wieder. »Ich bin gewöhnt, der Mittelpunkt von Tratschereien der Damen zu sein. Sollte das eines Tages aufhören, würde mir direkt etwas fehlen.«
    »Du bist viel zu gutmütig. Das Gerede von Margaret Norton macht mich … bereitet mir …«
    »Bereitet dir Übelkeit und Kopfschmerzen. Ja, ich weiß. Amy, ärgere dich nicht, das ist nicht gut für das Kind.«
    Amy machte ein schuldbewußtes Gesicht.
    Olivia lachte über die Reaktion der Freundin. Der sicherste Weg, Amy von etwas zu überzeugen, war eine Bemerkung über das Wohlergehen ihres ungeborenen Kindes. Nachdem sie zwei Babys verloren hatte, setzte sie alles daran, ihrem Ehemann endlich ein gesundes Kind zu schenken. Sie hatte sogar ihre beste Freundin überredet, eine harterkämpfte Anstellung an der New England Frauen- und Kinderklinik auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben und ans Ende der Welt zu reisen, um ihr in den letzten Monaten ihrer Schwangerschaft beizustehen. »Kopf hoch, Liebste. Davon geht die Welt nicht unter. Du solltest dich um mehr Gelassenheit und Heiterkeit bemühen.«
    »Du hast leicht reden«, schmollte Amy. »Du bist immer so beherrscht. Wie schaffst du das nur, obwohl man dich wie eine Jahrmarktattraktion behandelt?«
    »Seit meinem zehnten Lebensjahr, seit ich wußte, daß ich Ärztin werden wollte, muß ich mir sagen lassen, ich sei ein unnatürliches weibliches Wesen. Mein Vater, Gott hab’ ihn selig, hielt mich für eine Katastrophe. Er las mir aus den Werken von Dr. E.H. Clarke vor und zwang mich sogar, die wichtigsten Passagen seiner düsteren Warnungen auswendig zu lernen. Die gehässigsten Angriffe habe ich bis heute behalten: ›Höhere Bildung ruft bei Frauen Gehirntumore und körperliche Mißbildungen hervor, abartige Denkweisen und eine abnorm schwache Verdauung; es kommt zu sprunghaftem Denken und Darmträgheit‹. Dr. Clarke ließ sich geradezu verbissen über dieses Thema aus.«
    »Du meine Güte. Gab dein Vater dir tatsächlich solche Dinge zu lesen?«
    Olivia lächelte ohne Groll. »Dies und mehr, der Gute! Ich mußte mir die finstersten Prophezeiungen von Verwandten und Bekannten anhören, auch von Professoren der Medizin und Ärztekollegen. Frauen seien intellektuell einfach nicht in der Lage, die komplexen Zusammenhänge der Medizin zu begreifen, es fehle ihnen an Mut und Urteilsvermögen, sie seien nervös, leicht erregbar und neigen zu unkontrollierten hysterischen Anfällen.«
    »Welch ein Unsinn!«
    »Natürlich ist es Unsinn. Ich habe mich an diese Einstellung gewöhnt und mein Ziel unbeirrt verfolgt. Es führt zu nichts, sich von den Vorurteilen anderer Leute aus dem Konzept bringen zu lassen.«
    »Jedenfalls bin ich froh, daß Sylvester nicht so engstirnig ist. Er war richtig begeistert, als ich vorschlug, dich einzuladen.«
    »Sylvester ist über jeden Wunsch begeistert, den du äußerst. Wenn du ihn bitten würdest, dir ein Äffchen aus Afrika zu besorgen, um dir die letzten Schwangerschaftswochen zu erleichtern, würde er alle Hebel in Bewegung setzen, um dir auch diesen Wunsch zu erfüllen.«
    Amy lächelte. »Schon möglich. Sicherlich hält er dich für qualifizierter als ein Äffchen, mir beizustehen.«
    Im Stillen zweifelte Olivia daran.
    »Wir sind mit Sylvester in zwanzig Minuten zu einer heißen Schokolade verabredet. Wenn du Vorhangstoff für das Kinderzimmer aussuchen willst, solltest du dich beeilen.«
    »Ja«, seufzte Amy. »Die beiden alten Drachen haben mich völlig aus der Fassung gebracht. Und wo ist Mr. Shriner, wenn man ihn braucht? Gott weiß, wo der Ballen Baumwolldruck liegt, den er mir versprochen hat.«
    Während Amy sich auf die Suche nach dem Ladenbesitzer machte, schlenderte Olivia an den Regalen entlang und freute sich an den Düften einer
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