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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit
Autoren: Barry Unsworth
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mich betraf, so gaben sie mir das Pferdehaargewand des Antichristen und eine gehörnte Teufelsmaske; dazu bewaffneten sie mich mit einem hölzernen Dreizack, mit dem ich bei unserem Einzug in die Stadt um mich stechen sollte, während ich gleichzeitig sabberte und zischte. Es war meine erste Rolle.
       Wir legten Brendan hinten auf den Karren und häuften unsere Kleider über ihn, obenauf kam die kupferne Donner-Platte. Dann behängten wir das Gefährt mit den roten Vorhängen und befestigten rote Rosetten hinter den Ohren des Pferdes. Margaret führte das Tier, langsam und gleichmäßig, damit Gott und die Schlange nicht das Gleichgewicht verloren. Auch sie war prächtig gekleidet, wenngleich ihr blaues Kleid mit den Schlitzärmeln schon ziemlich abgetragen war, und ihr Haar war gekämmt und hochgesteckt.
       Als wir die Stadt erreichten, machten wir aus unserem Einzug ein Schauspiel – nicht nur für die Augen, auch für die Ohren; Dämonen und Engel wetteiferten mit Musik. Springer spielte seine Rohrflöte und die Schlange eine Viole, während die Menschheit auf einer Trommel den Takt schlug und Gott die Intervalle mit einem Tamburin vorgab. Um diese himmlischen Klänge zu übertönen, hatte man mich mit einer Bratpfanne und einer Schöpfkelle behängt, womit ich ein Heidenspektakel vollführte, und Straw trug einen Stock, mit dem er die Kupferplatte bearbeitete, unter der Brendan lag, und auf diese Weise Donnergrollen erzeugte. Dann und wann, wenn Harmonie und Mißklang sich im heftigsten Widerstreit befanden und der Ausgang des Kampfes fraglich war, hob Gott die rechte Hand, die Innenfläche nach außen gekehrt und die Finger leicht gekrümmt, in einer Geste, die Stille gebot, und schlagartig verstummte der Lärm der Dämonen.
       Solcherart zwischen Ordnung und Chaos hin und her wechselnd – während der dürre Klepper zur Musik den Kopf hochwarf und die Hufe so lebhaft bewegte, wie er es vermutlich durch Gewöhnung erlernt hatte, und der Hund, der hinten am Karren festgebunden war, vor Aufregung laut bellte –, in solcher Weise also paradierten wir durch die Straßen der Stadt, bis wir zum Marktplatz kamen, an dem das Wirtshaus stand.
       Was mich betraf, so war ich heilfroh, als wir endlich dort anlangten. Das Gewand aus Haar lag heiß und eng an meinem Körper, und die Maske aus zurechtgepreßtem und geleimtem Papier war dick und ließ mir kaum Luft zum Atmen. Durch die Augenlöcher konnte ich nur wenig sehen, und nach den Seiten hin war mir die Sicht völlig versperrt. Und ich durfte nicht vergessen, mit dem Dreizack zu stoßen und dabei zu zischen, während die Himmelsmusik dazu spielte; auch mußte ich mit Pfanne und Schöpfkelle bereit sein, sobald Straw auf der Kupferplatte das Signal gab; überdies mußte ich Gott im Auge behalten, um in genau dem Moment zu verstummen, wenn er die Hand hob. Ich war verwirrt von dem lautstarken Getöse und den Gesichtern der Zuschauer, soweit ich sie hie und da in den Blick bekam: Manche starrten, manche lachten, und manche standen mit offenem Mund da und schrien so laut, daß es von dem Heidenspektakel, den wir selber veranstalteten, nicht mehr zu unterscheiden war. In diesem Augenblick dämmerte mir – und es war eine Lektion, die ich in den darauffolgenden Tagen immer wieder aufs neue lernen sollte –, daß der Schauspieler immer in seinem eigenen Spiel gefangen ist, wobei er jedoch dafür sorgen muß, daß die Zuschauer es nie merken; sie müssen stets glauben, er wäre frei. Und so besteht denn die große Kunst des Schauspielers nicht darin, zu enthüllen, sondern zu verhüllen.
       Zu dem Durcheinander in meinem Kopf gesellte sich das Gefühl, daß meine Maske und das alte, verfilzte Pferdehaargewand bereits nach Brendans Verwesung stanken. Mir kam der Verdacht, daß die Maske und das Gewand möglicherweise unmittelbar neben Brendan gelegen hatten, und ich fragte mich, ob auch die anderen diese Vermutung hegten. Wir mußten Brendans Geruch verbergen, so, wie wir seinen Leichnam verborgen hatten. Wir brachten den Tod in die Stadt; soviel ist gewiß. Der Tod fuhr mit uns auf dem Karren; er war dort, inmitten unserer Parade und unserer Musik, während wir das gaffende Volk umschmeichelten, auf daß es zu uns käme und seinen Obolus entrichtete. Gewiß war auch, daß der Tod in dieser Stadt schon auf uns wartete; denn er vermag zur selben Zeit an verschiedenen Orten zu sein. Und wenngleich ich durch Gottes Gnade wieder aus dieser Stadt herauskam, so
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