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Die Marseille-Connection

Die Marseille-Connection

Titel: Die Marseille-Connection
Autoren: Massimo Carlotto
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dachlosen Sightseeingbus voll lachender und scherzender Touristen mit ihren Fotoapparaten. Eine mittelalte Gringa bot ihm ein Papiertaschentuch an und deutete auf sein Gesicht. Esteban befeuchtete es mit dem wenigen Speichel, der ihm geblieben war, und rubbelte sich das Gesicht ab. Die Fahrt endete vorm Samba Paradise , wo die Touristen von als Cariocas verkleideten jungen Leuten empfangen und in einen großen Saal geleitet wurden, in dem sie die nächsten Stunden über tanzen würden, von wahren Meistern angeleitet. Ein Orchester stimmte leidenschaftslos »Aquarela do Brasil« an. Garrincha löste sich aus der Gruppe und klopfte an die Direktionstür. Mit einem Summen entriegelte sich die Tür, und er stand einem kleinen Dünnen gegenüber, der ihm mit einer Pumpgun mit abgesägtem Lauf bedeutete, es sich bequem zu machen.
    In dem Büro stank es nach Kokain und Schweiß. Rund ein Dutzend von mit Pistolen bewaffneten jungen Männern lümmelte sich auf teuren Ledersofas; sie beäugten ihn misstrauisch. Esteban lief geradewegs auf den Schreibtisch des Chefszu, der wie immer in solchen Fällen enorm groß und enorm teuer war.
    Ein Typ mit etwas hellerer Haut und einer dicken, veralteten Brille war damit beschäftigt, einen Stapel Banknoten in zwei gleiche Teile zu sortieren, ohne den Kopf zu heben. Nicht, weil er etwa nicht neugierig gewesen wäre, aber als Buchhalter der Organisation durfte er sich keinen Fehler erlauben, sich nicht einmal um ein paar Dollar verzählen, sonst hätte man angenommen, er habe sie eingesteckt, und das wäre nicht das erste Mal gewesen. Er würde entlassen, wenn nicht gleich liquidiert und durch einen anderen ersetzt.
    Gold glänzte auf der ebenholzschwarzen Haut des Chefs. Er hieß Orlando Mendes und hatte sich blutjung dem Primeiro Comando da Capital, der Mafia von São Paulo, angeschlossen, die ihn vor einer Weile nach Foz do Iguaçu entsandt hatte, damit er mit der dortigen Konkurrenz aufräumte. Ganz war die Aufgabe noch nicht erledigt, aber er hatte schon erhebliche Fortschritte gemacht. Garrincha kannte ihn recht gut, da Maidana ihm bisweilen Waffen lieferte.
    »Drüben auf der anderen Seite der Grenze jagen dich alle«, informierte ihn Mendes. »Zum ersten Mal in deinem Leben bist du wirklich was wert, tot oder lebendig.«
    Die Jungs fassten zärtlich an ihre Pistolenknäufe, und Garrincha lief der Schweiß in die Augen. Maidana und die Triaden hatten nicht lange damit gewartet, ein Kopfgeld auf ihn auszuloben.
    »Ich habe dir den einen oder anderen Gefallen getan«, stotterte er, »ich bitte dich nur um Hilfe, damit ich untertauchen kann.«
    »Nein. Gefallen waren das keine, das war alles geschäftlich.«
    Mendes spielte mit seinen dicken Ringen und Armbändern. Das half ihm nachzudenken. Dann verzog ein grausames Grinsen seine Lippen. »Ich helfe dir nur, wenn du uns deine Mané-Garrincha-Nummer vorführst. Sonst kannst du sowieso nichts, und meine Jungs hatten noch nie Gelegenheit, dich dafür zu bewundern …«
    Hinter sich hörte Esteban zustimmendes Gemurmel und kniff die Augen zusammen. Der Boss wollte ihn erst demütigen und dann das Kopfgeld einstreichen. Sich zu weigern wäre allerdings dumm gewesen und hätte ihm unnötige Schmerzen eingebracht. Diese Burschen hier warteten nur darauf, den Ersten abzuknallen, der ihnen ins Schussfeld geriet. Also tänzelte er los und tat so, als hätte er einen Ball vor den Füßen.
    »Da dribbelt der große Garrincha um einen Gegner herum«, rief er im Tonfall eines Sportreporters. »Er läuft aufs Ziel zu, doch ein Verteidiger will sich dazwischenstellen, der Ball rollt ihm zwischen den Beinen hindurch, wieder tunnelt der große Garrincha, er nimmt den Ball von links, bereitet den Schuss vor, und – Toooor!«
    Keuchend stand Esteban da, außer Atem nach dieser quälenden Vorstellung.
    »Das sollte Mané sein?«, beschwerte sich einer der jungen Männer. »Das Arschloch will uns für dumm verkaufen, respektlos ist das.«
    »Halt’s Maul, Fernandinho«, unterbrach ihn Mendes. Er zog eine Schublade auf, holte eine Handvoll eiförmige Kokainpäckchen heraus und warf sie auf den Schreibtisch. »Mit denen bist du für eine Zeitlang versorgt und kannst deinen Arsch retten.«
    »In Ordnung. Wohin soll ich gehen?«
    »Marseille. Da werden Maidana und die Triaden dich nicht auftreiben.«
    »Marseille?«
    »Ja, mein Hübscher, Marseille. In Frankreich.«
    »Aber das ist in Europa! Was soll ich dort?«
    Orlando verschränkte die Arme. »Wie,
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