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Die Mappe meines Urgrossvaters

Die Mappe meines Urgrossvaters

Titel: Die Mappe meines Urgrossvaters
Autoren: Adalbert Stifter
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benachbarten Ortschaften herzu gekommen waren, um die Sache zu sehen. Am Eingange des Marktes war, wie gewöhnlich, eine Musik aufgestellt, die uns erwartete und empfing.
    Da der Zug bis zu dem unteren Wirthshause gekommen war, in welchem in dieser Nacht der Schützentanz sein sollte, erkannte man erst, warum es nicht erlaubt gewesen war, vor Sonnenuntergang vom Steinbühel herein zu ziehen; denn ein weiter großer Eingangsbogen von Tannengrün war vor dem Thore aufgebaut, strahlende Lampen waren rings in ihm eingeflochten, und über ihm brannten durchsichtige Papierbuchstaben, hinter denen Lampen standen, und die die Ankommenden willkommen hießen.
    Der ganze Zug ging, wie es gebräuchlich ist, sammt dem Bocke in den Tanzsaal. Dort gaben die Schützen ihre Büchsen, und die anderen Schießvorrichtungen an Diener, oder selbst an Söhne ab, welche sie nach Hause trugen. Der alte Bernsteiner hob die Thalerkrone dem Bocke vom Haupte und gab sie seiner freundlichen eben so alten Gattin, daß sie zu anderen Schützensiegeszeichen in den Glasschrein des Schlafzimmers gestellt werde. Der Bock aber mußte jetzt in den Stall.
    Die Zeit von der Ankunft im Tanzsaale bis zum Beginne des Tanzfestes verwendeten die Einheimischen gerne zu einem Gange zu den Ihrigen, zum Umkleiden oder dergleichen. Die Fremden blieben in dem Gasthause, und richteten sich auch zu dem her, was da kommen sollte. Wir hatten beschlossen auf den Anfang des Tanzes zu warten, und dann nach Hause zu fahren.
    Ich wurde in dieser Zwischenzeit sogar zu einem gerufen, der plötzlich krank geworden war. Es war von keiner Wichtigkeit und ich gab ihm ein betreffendes Mittel.
    Als ich wieder in den Saal zurück gekehrt war, waren die meisten schon anwesend, und es wurde zur Einleitung des Festes geschritten. Die Tische in den Speisegemächern waren besetzt, die Paare in dem Saale stellten sich an, die Musik begann, und durch einen ruhigen schönen Einleitungstanz wurde das Schützennachtfest eröffnet. Der Obrist zeigte Margariten und den zwei Frauen alles, wie man es hier mache, er blieb bei den zwei ersten Tänzen mit ihnen als Zuschauer, dann aber empfahlen wir uns als solche, die noch einen weiten Weg nach Hause zu machen haben und daher bei Zeiten aufbrechen. Viele Grüße und freundliche Wünsche wurden uns zugerufen, und wir gingen dann über die Treppe hinab, um uns in das obere Wirthshaus zu begeben, wo unsere Sachen waren. Auf der Gasse stand schon der Thomas mit meinem bespannten Wagen und harrte. Der Obrist und die Frauen hatten nur ihre Ueberkleider zu nehmen, um einzusteigen und fort zu fahren. Da begab sich etwas, das das Schönste an diesem Abende war.
    Ich hatte an dem Wagen gewartet. Margarita war mit den Frauen aus dem Hause gekommen, der Obrist aber noch nicht. Ich half den Frauen in den Wagen, und wollte es mit Margarita desgleichen thun. Ich faßte ihre Hand, die sie aus dem Ueberrocke hervorgestreckt hatte, aber ich half ihr nicht auf den Wagentritt, sondern ich hielt die Hand einen Augenblick, und sagte, weil mein Herz so gerührt war: »Margarita, werdet ihr mir es verzeihen, daß ich einmal so heftig an euch gehandelt habe?«
    »O verzeiht ihr mir nur,« antwortete sie, »daß ich so gewesen bin - einziger, lieber Freund meiner Jugend - o ich weiß es schon und der Vater hat es gesagt, was ihr für ein herrlicher Mann geworden seid.«
    »Nein, Margarita,« sagte ich, »euer Vater ist gut, er weiß es schon, welche Fehler ich habe - und ihr seid ein Engel!«
    Ich vergaß mich, und schlang meine Arme um ihren Nacken, wie man eine Schwester nach langem Entferntsein begrüßet. Sie that ihre Arme auch um meinen Hals, drückte ihr Angesicht an das meinige, und fing so heftig zu weinen an, daß ich es gar nicht fassen konnte. Ich empfand das Naß ihrer Thränen auf meinen Wangen. Ich beugte nur einen Augenblick zurück, und wir drückten dann mit einem Male unsere Lippen an einander. Ich hielt sie fest an mein Herz gepreßt, wie eine verlorene und wiedergefundene Braut.
    Es war hier das erste Mal in unserm Leben gewesen, daß wir uns geküßt hatten.
    Als sich die Arme wieder gelöset hatten, und ich ihre liebe Hand hielt, sagte ich: »Margarita, darf ich morgen euren Vater um euch bitten?«
    »O bittet,« antwortete sie, »es ist gut für uns beide.«
    Dann wandte sie sich zu den Frauen, die im Wagen saßen und sagte: »Nehmet es mir nicht übel, was ich that; er ist mein Bräutigam.«
    »Steiget jetzt ein, Margarita,« sagte ich, »morgen komme
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