Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Macht der Ehrlichen: Eine Provokation (German Edition)

Die Macht der Ehrlichen: Eine Provokation (German Edition)

Titel: Die Macht der Ehrlichen: Eine Provokation (German Edition)
Autoren: Bernhard Bueb
Vom Netzwerk:
Gerechtigkeit, Freiheit, Respekt vor anderen Menschen sind weitere solche Tugenden. Sekundärtugenden erhalten ihren Wert durch fremde Zwecke, denen sie dienen. Ordnungssinn, Fleiß, Pünktlichkeit oder Sorgfalt gelten als solche Tugenden. Diese Tugenden haben Verwalter von Konzentrationslagern verinnerlicht, aber auch ihre Befreier. Eine SS-Mannschaft pflegt innerhalb ihrer Gruppe Ehrlichkeit, außerhalb gilt die Lüge. Wahrhaftigkeit sollte aber um der Wahrhaftigkeit willen geübt werden, also immer gelten und nicht, weil sie nützlich ist, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Wahrhaftigkeit ist heute zur Sekundärtugend abgesunken.
    Jede neue Nachricht über Lug und Trug ist geeignet, unseren Pessimismus zu vermehren. Und doch bewahren wir einen Glauben an den Sieg der Wahrhaftigkeit über die mächtigen Egoismen der Wirtschaftsinteressen.

Wer ist eigentlich ein
ehrlicher Mensch?
    Ein ehrlicher Mensch begegnet einem anderen Menschen als gleichwertigem Partner. Er achtet dessen Würde. Wenn er mit ihm in Beziehung tritt, ist der andere auch wirklich gemeint, denn der Ehrliche benutzt sein Gegenüber nicht als Mittel, um eigennützige Zwecke zu verfolgen.
    Beratungsberufe gehören zu den sensiblen »Geschäftsbeziehungen«. Ein Berater kennt sich in einem bestimmten Fachgebiet aus und hilft seinem Kunden dabei, in diesem Bereich fundiert Entscheidungen treffen zu können. Dafür verlangt er ein Honorar. Würde er ihn nur beraten, um ein Honorar zu kassieren, begänne die Unehrlichkeit. Denn der Kunde würde für ihn zum Mittel, um Geld zu verdienen. Wenn ein Psychotherapeut nicht davor zurückscheut, die Behandlung zu verlängern, obwohl der Patient gut seinen eigenen Weg gehen kann, dann degradiert er seinen Patienten ebenfalls zum Mittel, um noch länger Honorar erhalten zu können. Auch hier wird die Beziehung unehrlich.
    Es gibt nicht nur materielle Beweggründe, anderen gegenüber unlauter zu sein. Wenn sich beispielsweise ein Mann von der Begegnung mit einer Frau lediglich ein Abenteuer verspricht, muss er ihr das mitteilen. Denn sonst wird auch sie Mittel zum Zweck.
    Ich erinnere mich an ein sechzehnjähriges Mädchen, das zu ihrer Lehrerin, die zugleich ihre Erzieherin im Internat war, ein enges Vertrauensverhältnis hatte. Eines Tages ließ das Mädchen sich auf eine Unternehmung mit einer Gruppe von Jungen und Mädchen ein, die in einer Party mit einigen unerfreulichen Ereignissen endete. Als die Teilnehmer der Party befragt wurden, trug auch sie die in der Gruppe vereinbarte »Sprachregelung« vor. Sie log ihre Lehrerin an. Sie hatte lange um Anerkennung in der Gruppe gekämpft und fürchtete, diese Anerkennung zu verlieren, wenn sie abweichend von der Gruppenvereinbarung und damit ehrlich berichten würde. Der Zweck ihrer Lüge war, ihr Ansehen in der Gruppe zu stärken. Sie benutzte die Lehrerin als Mittel, um diesen Zweck zu erreichen. Dafür nahm sie in Kauf, dass sie die Würde der Lehrerin verletzte. Sie sagte nicht nur die Unwahrheit, sie gefährdete darüber hinaus die Grundlage ihrer Beziehung zu der Lehrerin und damit die gegenseitige Anerkennung als gleichwertige Partner.
    In Grundlegung zur Metaphysik der Sitten hat Immanuel Kant schlüssig dargelegt, dass das Dasein des Menschen »an sich selbst einen absoluten Wert hat« und »als Zweck an sich selbst« die Grundlage des moralischen Gesetzes bildet. »Der Mensch und überhaupt jedes vernünftige Wesen existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen.« Das grundlegende Prinzip der Ethik ist in seinem System der kategorische Imperativ, hier in einer nicht so häufig zitierten Formulierung: »Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.«
    Der Ehrliche lebt nach diesem Imperativ. Dieser dient auch dazu, moralische von unmoralischen Handlungen unterscheiden zu können. Derjenige aber, der einen anderen als absoluten Wert akzeptieren kann, muss sich selbst als absoluten Wert, als Zweck an sich selbst, annehmen. Wir alle sollten lebenslang daran arbeiten, uns so zu bejahen, wie wir sind, und wir sollten damit auch das Leben bejahen. Je mehr uns das gelingt, desto größer werden unser Selbstvertrauen und unsere Zufriedenheit.

    Das Selbstvertrauen, das Kinder brauchen, um sich selbst zu akzeptieren, gewinnen sie durch die Zuwendung ihrer Eltern. Urvertrauen nennen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher