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Die Macht der Ehrlichen: Eine Provokation (German Edition)

Die Macht der Ehrlichen: Eine Provokation (German Edition)

Titel: Die Macht der Ehrlichen: Eine Provokation (German Edition)
Autoren: Bernhard Bueb
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der Jungenbande oder Mädchengruppe, in der Schulklasse, im Sportverein oder im Ferienlager. Die Ehrlichen sollten den Satz im alltäglichen Leben widerlegen, den ich schon im Vorwort erwähnt habe und der Napoleon, der ein Zyniker war, zugeschrieben wird: »Die Welt geht nicht an der Bosheit der Bösen zugrunde, sondern an der Schwachheit der Guten.«

Die Gefährdung der Ehrlichen
    Schüler Salems hielten sich in der Frühzeit der Schule an den Ehrenkodex, immer ehrlich zu sein. Eine Besucherin wollte Salem kennenlernen und fragte einen Schüler, was das Besondere seiner Schule ausmache. »Wir lügen nie!«, lautete seine Antwort.
    »Oh, dann war das deine erste Lüge!«, konterte die Dame.
    Niemand kann immer ehrlich sein. Aber manche Menschen bilden sich ein, sie könnten es. Sie kommen sich moralisch überlegen vor und sind selbstgerecht, weil sie keine Selbstzweifel kennen. Das Gefühl der Überlegenheit steigern sie noch, indem sie sich mit anderen vergleichen.
    »Ich danke dir, dass ich nicht bin wie die übrigen Menschen … oder auch wie dieser Zöllner«, betet der Pharisäer im Tempel, so ist es nachzulesen im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner im Lukas-Evangelium. Er rechnet Gott alle seine guten Taten vor und distanziert sich von Sündern wie dem Zöllner, der gleichzeitig im Tempel betet, sich aber seines Fehlverhaltens bewusst ist. »Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler, dass ihr übertünchten Gräbern gleich seid, die auswendig schön scheinen, inwendig aber voll von Totengebeinen und allem Unrat sind. So erscheint auch ihr auswendig den Menschen als gerecht, inwendig aber seid ihr voll von Heuchelei und Gesetzesverachtung.« (Mt, 23,27-28).
    Es gibt wenige Texte, die die Arroganz der Scheinheiligen so treffend charakterisieren, wie es Jesus Christus im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner gelingt und wie die Bilder mitteilen, die er in seiner Rede über die Verlogenheit der Selbstgerechten gebraucht.
    Selbstgerechtigkeit verbirgt sich häufig unter dem Gewand demütiger Tugend. Ich erinnere mich an eine Lehrerin, die als eine Stütze der Schule galt, weil sie alle Erwartungen an eine gute Lehrerin erfüllte: Einfühlsam wandte sie sich jedem Schüler zu, sie galt als kompetent, als gerecht und verlässlich; sie fiel durch einen vorbildlichen, »wertschätzenden« Umgang auf. Nie beteiligte sie sich an Tratsch über einen Kollegen oder einen Schüler. Trotz dieser anständigen Haltung erregte sie Ärgernis. Sie wirkte unangreifbar in ihrer Tugendhaftigkeit und tat auch alles, um unangreifbar zu erscheinen. Ihr lag viel daran, sich politisch korrekt zu verhalten. Selbstironie war ihr fremd. Hätte sie ab und zu über sich selbst lächeln können, so hätte sie zugegeben, dass ihr Bild der Tugendhaftigkeit Kratzer hatte.
    Hämisch und genüsslich rächen wir uns an Menschen, die sich moralisch überlegen fühlen und das auch ausstrahlen, indem wir sie als »Gutmenschen« bezeichnen. Gutmensch ist die heute gebräuchliche Bezeichnung für Pharisäer. Gutmenschen richten gern über andere. Als Jesus Christus eine Ehebrecherin vorgeführt wurde und die Menge von ihm hören wollte, dass sie die vom Gesetz vorgesehene Steinigung verdient habe, antwortete er: »Der werfe den ersten Stein, der ohne Sünde ist.« Richtet nicht über andere, so lautet eine seiner wichtigsten moralischen Botschaften. Wir tun im Alltag das Gegenteil. Wer von uns ist frei von solcher Scheinheiligkeit? Die Christen jedenfalls haben die Worte ihres Herrn in ihrer Geschichte wenig beherzigt.
    Vermutlich hat jeder von uns eine Neigung dazu. Ich selbst habe mich schon ertappt, wie ich den Fall eines Menschen mit selbstgerechter Genugtuung verfolgte, der sich einen Namen durch Kompetenz und moralische Autorität gemacht hatte, den ich aber nicht mochte. Zu meinen Gunsten kann ich nur ins Feld führen, dass ich mein Fehlverhalten erkannte und versuchte, meine Schadenfreude einzugrenzen.
    Beispiele öffentlicher Scheinheiligkeit gibt es nicht wenige aus den letzten Jahren. Stellvertretend für andere will ich den Präsidenten des FC Bayern Uli Hoeneß anführen. Er hat irgendwann einmal geäußert: »Ich weiß, dass es doof ist. Aber ich zahle volle Steuern.« Dann wurde publik, dass er Steuern hinterzogen hatte. Eine Phalanx von selbsternannten Gutmenschen, die vielleicht selbst schon Steuern hinterzogen hatten, fiel über ihn her. Man nahm ihm übel, dass er sich rechtschaffen gab, »inwendig … aber
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