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Die Lust des Bösen

Die Lust des Bösen

Titel: Die Lust des Bösen
Autoren: Cassandra Negra
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zu werden, oder machte es ihm mehr aus, sich einzugestehen, dass vielleicht alles vorbei war? Dass es keine Chance auf einen Neuanfang gab? Oder war es nur die Ausweglosigkeit, die er spürte?
    Niemals zuvor hatte er so schmerzhaft erfahren, wie quälend es war, einfach nichts tun zu können, keine zweite Chance zu bekommen, um mit einem Paukenschlag noch einmal alles herumzureißen.
    »Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer trifft sie der Zufall.« Jetzt schien dieser Zufall, vom dem Dürren matt da sprach, das Regiment übernommen und Jack an einen Punkt geführt zu haben, an dem es nicht mehr so reibungslos und glatt lief wie in all den letzten Jahren. Alles schien aus dem Ruder zu laufen.
    Er wusste nicht, wie lange er schon an seinem Schreibtisch saß. Ja, er musste handeln. Ganz gleich, ob er abstürzen würde oder nicht. Es war eine schwere Entscheidung, die er zu treffen hatte, und er war verdammt noch mal niemand, der leichtfertig aufgab. Er verfolgte seine Ziele und war es gewohnt, die Dinge, die er angefangen hatte, auch zu Ende zu bringen. Aber ebenso war er einer der wenigen Menschen, die es gewohnt waren, Verantwortung zu übernehmen und sich dieser Verantwortung auch zu stellen. Er hatte gelernt, auch dann zuzupacken und nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, wenn es unangenehm wurde.
    »Herr Braun?«, fragte seine Assistentin. »Ich möchte Sie an die Pressekonferenz erinnern.«
    »Ja, danke, Frau Nehls.«
    »Es tut mir ja so leid«, sagte sie den Tränen nahe, »wir werden Sie alle hier furchtbar vermissen.«
    »Ich weiß«, gab er gerührt zurück, »mir geht es genauso. Aber glauben Sie mir, manchmal ist ein Abschied eben nötig, um einen Neuanfang zu ermöglichen.«
    Schweren Herzens erhob er sich von seinem Schreibtisch, nahm die Blätter mit seinen Notizen und begab sich hinaus ins Konferenzzimmer, wo bereits die Medienvertreter warteten.
    Schon auf dem Weg dorthin wurde ihm klar, dass seine Entscheidung die einzig richtige war. So groß wie heute war das Interesse der Presse schon lange nicht mehr gewesen. Es gab keinen freien Platz mehr. Der Saal war vollkommen überfüllt, und einige der Journalisten standen sogar auf dem Flur.
    »Herr Braun«, riefen die Ersten, die ihn gesehen hatten.
    »Einen Moment noch«, entgegnete er ruhig und bahnte sich seinen Weg durch die wartende Presseschar.
    Auch seine engsten Weggefährten waren anwesend – seine Assistentin Norah Nehls, sein Referent Mike, sein Wahlkampfmanager Dick und sein Stratege Tobias. Er hatte sie eingeweiht. Sie sollten die Ersten sein, die davon erfuhren, bevor er vor die Presse trat. Und außerdem musste er ihnen eine Chance einräumen zu reagieren, so kurz vor der Bundestagswahl.
    Er wusste, dass er mit seiner Entscheidung die Chancen der Partei nicht nur erheblich schmälerte, sondern wahrscheinlich würde die Partei sogar ins Nichts stürzen, und ihre Umfrage werte würden dramatisch einbrechen. So kurz vor dem Ziel einen beliebten Kandidaten zu verlieren, war so etwas wie der Super-GAU in der Politik. Und wer sollte ihm nachfolgen? Jack hatte kein Patentrezept und konnte in den Reihen der Partei niemanden erkennen, der dieser gewaltigen Aufgabe auch nur annähernd gewachsen war. Dennoch hatte er seiner Partei einen Vorschlag unterbreitet. Aber er hatte ihnen auch unmissverständlich klargemacht, dass sie diese Entscheidung selbst und noch dazu in der gebotenen Kürze der Zeit treffen mussten.
    Jetzt hatte Jack Braun das Podium erreicht, ging die Stufe hoch, trat ans Pult und setzte sein charmantes Politikerlächeln auf, das er für die Öffentlichkeit einstudiert hatte und jederzeit hervorzaubern konnte. Eine Maske, die er sich zugelegt hatte, um zu vermeiden, dass man ihm zu nahe kommen oder ihm gar in seine Seele sehen konnte.
    »Guten Abend«, begrüßte er die wartende Meute, gewohnt souverän in seiner Rolle des charismatischen Politikers.
    »Ich freue mich sehr, dass Sie meiner Einladung heute so zahlreich gefolgt sind und verspreche Ihnen, so viele Ihrer Fragen zu beantworten wie möglich. Verlieren wir also keine Zeit und fangen an.«
    Es wurde still im Konferenzsaal – die Ruhe vor dem Sturm, dachte er, während er fortfuhr: »Wie Sie alle in den letzten Tagen mitverfolgt haben dürften, ist die Nationalpartei in schweres Fahrwasser geraten. Sie hat einen Kurs genommen, den ich nicht vertreten kann. Die Gewalteskalationen der vergangen Monate – nicht nur die der Black Brothers, sondern auch die der
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