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Die Luna-Chroniken: Das mechanische Mädchen (German Edition)

Die Luna-Chroniken: Das mechanische Mädchen (German Edition)

Titel: Die Luna-Chroniken: Das mechanische Mädchen (German Edition)
Autoren: Marissa Meyer
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weiß verputzte Kirche mit den glänzenden Zwiebeltürmen war in erstaunlich gutem Zustand. Aber wen wundert das?, dachte ich. Denn alle, die eine Reise durch die Schattenflur planten, waren so klug, zuvor in dieser Kirche zu beten.
    Ich fand die Unterkünfte der Feldmesser, warf mein Gepäck auf eine Pritsche und eilte zum Dokumentenzelt. Zu meiner Erleichterung war der Oberste Kartograf noch nicht da und so konnte ich mich ungesehen hineinschleichen.
    Beim Eintreten entspannte ich mich zum ersten Mal, seit ich die Schattenflur erblickt hatte. Wie in den Feldlagern üblich bestand das Zelt aus Segeltuch und war hell erleuchtet. Die Tische, an denen sich Feldmesser und Zeichner über ihre Arbeit beugten, waren in Reihen aufgestellt. Nach der wirren und lauten Reise empfand ich das Rascheln des Papiers, den Geruch der Tinte, das Huschen der Pinsel und das Kratzen der Schreibfedern als ausgesprochen beruhigend.
    Ich zog mein Skizzenbuch aus dem Mantel und setzte mich auf eine Bank neben Alexej, der sich zu mir umdrehte und gereizt zischte: »Wo hast du gesteckt?«
    »Ich wäre beinahe von der Kutsche des Dunklen überfahren worden«, antwortete ich, griff nach einem Blatt Papier und blätterte meine Skizzen durch, um eine zu finden, die ich ausarbeiten konnte. Alexej und ich waren Gehilfen der Kartografen und wir mussten während unserer Ausbildung täglich zwei saubere Zeichnungen oder wenigstens zwei Skizzen abgeben.
    Alexej holte zischend Luft. »Im Ernst? Hast du ihn etwa gesehen?«
    »Ich musste zusehen, dass ich mit dem Leben davonkam.«
    »Es gibt schlechtere Arten, ins Gras zu beißen.« Er merkte, dass ich die Skizze eines felsigen Tals ausgewählt hatte.
    »Nein. Die nicht.« Er blätterte mein Skizzenbuch durch, bis er eine Seite fand, die einen Bergrücken zeigte. Er tippte darauf. »Lieber diese hier.«
    Ich hatte kaum den ersten Strich getan, da betrat der Oberste Kartograf das Zelt. Er marschierte mitten zwischen den Zeichentischen durch und warf dabei prüfende Blicke auf unsere Arbeit.
    »Das ist hoffentlich deine zweite Skizze am heutigen Tag, Alina Starkowa.«
    »Ja«, log ich. »Ja, so ist es.«
    Sobald der Kartograf weitergegangen war, flüsterte Alexej: »Erzähl mir von der Kutsche.«
    »Erst muss ich fertig zeichnen.«
    »Hier«, sagte er, seufzte und schob mir eine seiner Skizzen hin.
    »Er wird merken, dass sie von dir ist.«
    »Sie ist nicht besonders gut gelungen. Du kannst sie ohne Probleme als deine Skizze ausgeben.«
    »Das ist der Alexej, den ich kenne und liebe«, brummte ich, gab die Skizze aber nicht zurück. Alexej wusste genau, dass er einer der begabtesten Gehilfen war.
    Er entlockte mir alle Einzelheiten über die drei Kutschen der Grischa. Da ich ihm dankbar war, tat ich mein Möglichstes, um seine Neugier zu stillen, während ich das Bild des Bergrückens vollendete und danach die Höhe der Gipfel abschätzte.
    Die Dämmerung brach an, als wir fertig waren. Wir gaben unsere Arbeiten ab und gingen zum Essenszelt, wo wir uns für die Suppe anstellten, die von einem schwitzenden Koch ausgeteilt wurde. Dann setzten wir uns zu den übrigen Feldmessern.
    Ich aß schweigend und lauschte Alexej und den anderen, die Feldlagertratsch austauschten und über die morgige Durchquerung sprachen. Alexej überredete mich, noch einmal von den Kutschen der Grischa zu erzählen. Berichte über den Dunklen wurden stets mit einer Mischung aus Furcht und Faszination aufgenommen.
    »Er ist kein Sterblicher«, sagte Ewa, eine andere Gehilfin. Sie hatte hübsche grüne Augen, aber eine Nase, die an einen Schweinsrüssel erinnerte. »Genau wie alle Grischa.«
    »Bitte erspar uns deinen Aberglauben, Ewa«, sagte Alexej verächtlich.
    »Die Schattenflur wurde von einem Dunklen erschaffen.«
    »Das war vor Hunderten von Jahren!«, wandte Alexej ein. »Und der damalige Dunkle war vollkommen verrückt.«
    »Dieser ist genauso schlimm.«
    »Dumme Gans«, sagte Alexej und winkte ab. Ewa starrte ihn an, dann drehte sie sich eingeschnappt um und unterhielt sich mit ihren Freunden.
    Ich schwieg. Ewa mochte abergläubisch sein, aber ich war noch viel ungebildeter als sie. Meine Kenntnisse im Lesen und Schreiben verdankte ich nur dem Herzog. Trotz seiner Wohltätigkeit hatten Maljen und ich jedoch stillschweigend vereinbart, Keramzin nie zu erwähnen.
    Als wären meine Gedanken ein Signal gewesen, ertönte auf einmal ein dreckiges Lachen. Ich warf einen Blick über die Schulter. Maljen saß bei den ungehobelten
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