Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition)

Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition)

Titel: Die Luna-Chroniken, Band 2: Wie Blut so rot (German Edition)
Autoren: Marissa Meyer
Vom Netzwerk:
Meyer
    Sechzehn Stunden brauchte ihr Satellit, um den Planeten Erde zu umrunden. Es war ein Gefängnis mit einem atemberaubenden Blick – riesige blaue Meere, wirbelnde Wolken und Sonnenaufgänge, die die halbe Welt in Brand setzten.
    In der ersten Zeit ihrer Inhaftierung hatte sie oft Kissen auf den Schreibtisch getürmt, die Bildschirme mit Bettlaken verhängt und sich so eine kleine Höhle gebaut. Dann spielte sie, sie sei nicht auf einem Satelliten, sondern auf einem Beischiff auf dem Weg zum Blauen Planeten. Und würde bald landen, echte Erde betreten, echten Sonnenschein fühlen und echten Sauerstoff einatmen.
    Sie starrte stundenlang auf die Kontinente und stellte sich vor, wie es dort unten wohl wäre.
    Luna anzusehen, vermied sie. An einigen Tagen schwebte ihr Satellit so dicht daran vorbei, dass der Mond die ganzen Fenster einnahm und sie die gewaltigen glitzernden Kuppeln und die funkelnden Städte ausmachen konnte, in denen die Lunarier lebten. Wo sie auch gelebt hatte. Vor Jahren. Bevor sie verbannt worden war.
    Als Kind hatte sich Cress in diesen quälend langen Stunden vor dem Mond versteckt. Manchmal war sie ins kleine Bad geflüchtet und hatte sich damit abgelenkt, ihre Haare in raffinierte Zöpfe zu flechten. Oder sie hatte sich unter dem Schreibtisch verkrochen und Wiegenlieder gesungen, bis sie tatsächlich einschlief. Oder von einer Mutter und einem Vater geträumt und sich ausgemalt, wie sie mit ihnen spielte, wie die Eltern ihr Abenteuergeschichten vorlasen und ihr dabei liebevoll die Haare aus der Stirn strichen, bis endlich – endlich – der Mond hinter der schützenden Erde versunken war und sie sich wieder sicher fühlen konnte.
    Selbst jetzt nutzte Cress diese Stunden, um unter das Bett zu kriechen und zu schlafen, zu lesen, sich Lieder oder komplizierte Codes auszudenken. Sie sah nicht gerne auf die Städte von Luna hinab, weil sie eine paranoide Vorstellung hatte: Wenn sie die Lunarier sehen konnte, so mussten die Lunarier sie doch auch jenseits ihrer künstlichen Himmel entdecken können.
    Es war wie ein Alptraum, der nun schon länger als sieben Jahre andauerte.
    Doch obwohl die silberne Kuppe Lunas schon in eine Ecke ihres Fensters gekrochen war, schenkte Cress dem nicht die geringste Aufmerksamkeit. Denn jetzt spielte sich auf den unsichtbaren Computerbildschirmen ein ganz anderer Alptraum ab. Unter grauenerregenden Schlagzeilen tauchten brutale Fotos und Videos auf, die vor ihren Augen zu verschwimmen begannen, während sie von einem Artikel zum nächsten scrollte. Sie konnte gar nicht schnell genug lesen.
WELTWEIT 14 STÄDTE ANGEGRIFFEN. MASSAKER DAUERTE ZWEI STUNDEN. 16.000 TOTE ERDBEWOHNER. GRÖSSTES BLUTVERGIESSEN DER DRITTEN ÄRA
.
    Angst und Schrecken überall im Netz. Auf den Straßen lagen Tote mit aufgeschlitzten Bäuchen, deren Blut in die Rinnsteine lief. Menschenähnliche Wesen rannten mit blutverschmierten Kiefern und verkrusteten Nägeln zwischen den Toten herum. Cress hielt die Hand vor den Mund, als sie die Bilder ansah. Ihr Atem ging immer flacher, denn langsam dämmerte ihr die Wahrheit.
    Es war ihre Schuld.
    Monatelang hatte sie lunarische Schiffe so getarnt, dass die Radare der Erde sie nicht orten konnten, so wie Herrin Sybil es ihr befohlen hatte. Weil sie nichts als eine gut ausgebildete Lakaiin war.
16.000 TOTE ERDBEWOHNER
. Die Erde hatte nicht gewusst, in welcher Gefahr sie schwebte. Und alles nur, weil sie nicht tapfer genug gewesen war, sich den Befehlen der Herrin zu widersetzen.
    Jetzt tauchte neben den Bildern über das Massaker eine andere Nachricht auf, die sie fast noch mehr entsetzte.
    Kaiser Kaito aus dem Asiatischen Staatenbund hatte den Angriffen ein Ende bereitet, indem er in eine Heirat mit Levana, der Königin von Luna, eingewilligt hatte.
    Königin Levana würde Herrscherin über den Staatenbund werden.
    Auf der Erde bemühten sich fassungslose Journalisten, ihre gegensätzlichen Standpunkte zu dieser diplomatischen Allianz zu erläutern. Einige entrüsteten sich, dass sich der Staatenbund auf einen Krieg und nicht auf eine Hochzeit vorbereiten solle, während andere die Allianz eilig rechtfertigten. Cress drehte den Ton höher, um zu hören, was einer von ihnen über die möglichen Vorteile zu sagen hatte: Es gebe keine Angriffe mehr und keine Spekulationen, wann der nächste Angriff stattfinden würde. Die Erde werde die Kultur Lunas besser verstehen lernen. Erde und Luna könnten sich über ihre jeweiligen technischen Fortschritte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher