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Die Lilie im Tal (German Edition)

Die Lilie im Tal (German Edition)

Titel: Die Lilie im Tal (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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auf dieser Welt wohnt, so muß es hier sein!‹
    Dabei lehnte ich mich an einen Nußbaum, unter dem ich seither jedesmal raste, wenn ich in mein geliebtes Tal zurückkehre. Unter jenem Baum, dem Vertrauten meiner Gedanken, sinne ich den Veränderungen nach, die mit mir vorgegangen sind, seit ich zuletzt dort war. Sie wohnte dort, mein Herz trog mich nicht. Das erste Schloß, das ich am Abhang sah, war ihr Heim. Als ich mich unter meinen Nußbaum setzte, leuchteten die Schiefer ihres Daches und glitzerten ihre Fenster in der Mittagssonne. Ihr Leinenkleid war der weiße Punkt, den ich in ihren Reben unter einem Pfirsichbaum gewahrte. Sie war, wie Sie schon ahnen, die ›Lilie dieses Tales‹, wo sie für den Himmel blühte und das sie mit dem Duft ihrer Tugenden erfüllte... Die unendliche Liebe, die keine andere Nahrung fand als den weißen Punkt, den sie von fern erblickte und der meine Seele ausfüllte, diese Liebe fand ich versinnbildlicht in dem langen Wasserbande, das sich zwischen grünen Ufern sonnbeschienen hinschlängelt, in der Pappelzeile, deren schwanke Spitzengewebe dieses Liebestal schmücken, in den Eichenwäldchen, die sich in die Weinberge hineinschieben, in den Abhängen, die des Flusses wechselreiche Windungen umspielen, in den blauen Horizonten, die verdämmernd ineinandergreifen. Wollen Sie die Natur schön und jungfräulich wie eine Braut sehen, so gehen Sie an einem Frühlingstag dorthin. Wollen Sie die blutenden Wunden Ihres Herzens lindern, so kehren Sie in den letzten Herbsttagen dahin zurück. Im Frühling streicht die Liebe dort mit vollen Flügelschlägen durch den Himmel; im Herbst denkt man dort derer, die nicht mehr sind. Die kranke Lunge atmet dort wohltuende Frische; der Blick ruht auf übergoldetem Gebüsch, das der Seele seine friedliche Milde mitteilt. – In diesem Augenblick verliehen die Mühlen, die von den Fällen der Indre getrieben wurden, dem erschauernden Tal eine Stimme; die Pappeln wiegten sich lachend. Keine Wolke am Himmel. Die Vögel sangen, die Grillen zirpten, alles war Musik. Fragen Sie mich nicht, warum ich die Touraine liebe! Ich liebe sie weder so, wie man eine Wiege liebt, noch wie man eine Oase in der Wüste liebt. Ich liebe sie, wie ein Künstler die Kunst liebt. Ich liebe sie weniger, als ich Sie liebe, aber ohne die Touraine lebte ich vielleicht nicht mehr ... Ohne zu wissen, warum, kehrten meine Augen zu dem weißen Punkt zurück, zu der Frau, die in diesem weiten Garten erglänzte, wie inmitten grüner Büsche der leuchtende Kelch einer Winde, die die leiseste Berührung zum Welken bringt. Mit bewegter Seele stieg ich hinab in die Talmulde, und bald erblickte ich ein Dorf, das meinem überschäumenden Poetenherzen unvergleichlich schön zu sein schien. Stellen Sie sich drei Mühlen zwischen anmutig ausgebuchteten, baumgekrönten Inseln vor, umgrünt von einer blühenden Wasserwiese... Wie sollte man sie anders bezeichnen, jene Wasserpflanzen, die lebensfroh und farbenprächtig den Fluß überkleiden, die aus den Fluten emportauchen, sich auf ihnen wiegen, sich ihren Launen anpassen und die im Gischt des vom Mühlrad gepeitschten Flusses schwanken?... Hier und da erheben sich Kiesbänke, das Wasser bricht sich daran und bildet lange Fransen, in denen die Sonne leuchtet. Amaryllis, Seerosen, Seelilien und Schilfrohr bedecken die Ufer mit ihren herrlichen Stickereien. Eine morsche Brücke aus verfaulten Balken, deren Pfähle blumenüberwachsen sind, deren Brüstung frisches Gras und samtweiches Moos polstern, neigt sich zum Wasser und steht doch fest. Altersschwache Kähne, Fischernetze, der eintönige Gesang eines Hirten; Enten, die zwischen den Inseln hin und her schwimmen oder auf dem groben Sand, den die Loire mit sich führt, ihre Federn glätten; Müllerburschen, die Mütze auf einem Ohr, mit ihren Maultieren beschäftigt: jede dieser Einzelheiten verlieh dem Bild einen überraschenden Reiz. Denken Sie sich jenseits der Brücke zwei oder drei Bauernhöfe, einen Taubenschlag, Turteltauben, etliche dreißig baufällige Hütten, die durch Gärten, Geißblatt-, Jasmin- und Klematishecken getrennt waren, und vor allen Türen blütenbunte Düngerhaufen, Hühner auf allen Wegen: da haben Sie Pont-de-Ruan, ein hübsches Dorf, von einer alten, eigenartigen Kirche überragt, einer Kirche aus der Zeit der Kreuzzüge, wie sie Maler für ihre Bilder suchen. Denken Sie sich das Ganze umrahmt von alten Nußbäumen und jungen Pappeln mit mattgoldenem Laub, und mitten
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