Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Liebesluege

Titel: Die Liebesluege
Autoren: Sissi Flegel
Vom Netzwerk:
sprach jedes einzelne Wort betont deutlich aus, als habe sie es mit Schwerhörigen zu tun.
    »Dritte Tür links«, antwortete Swetlana verdutzt.
    Charly lächelte süß. »Danke, Swetty.« Dann schlug sie Swetlana die Tür vor der Nase zu.

    Charly fuhr zu Elena herum. »Mit den beiden werde ich Krach bekommen, Elena! Fragen die uns doch in den ersten Minuten über unsere Noten und was weiß ich sonst noch alles aus! Das tut man doch nicht! Warum -«
    Es klopfte.
    »Herein!« Charly riss die Tür auf.
    »Das Gepäck.« Der ältere Mann lächelte sie an. »Ich bin der Hausmeister. Karl Appenzell ist mein Name.«
    »Stellen Sie es einfach hier ab.« Charly wartete, bis die Koffer und Taschen im Zimmer standen. »Danke, Herr Appenzell.«
    Kaum war der Hausmeister verschwunden, wirbelte sie herum. »Welches Bett möchtest du, Elena? Das linke oder das rechte?«
    Elena schüttelte ihre Erstarrung ab, konzentrierte sich mit aller Macht und blickte sich in dem rechteckig geschnittenen Zimmer um. Der Tür gegenüber befanden sich zwei von der Decke bis zum Boden reichende Fenster mit einem geschwungenen schmiedeeisernen Gitter davor. Lange, seitlich geraffte sonnengelbe Vorhänge mit weißen Punkten rahmten sie ein. Zwischen den Fenstern war ein
hohes offenes Regal, davor ein rundes Tischchen mit zwei gelb bezogenen Sesselchen und einer Stehlampe, an jeder Wand waren ein sehr breiter Schrank, ein Bett sowie ein Nachttisch, und in der Mitte des Zimmers standen sich zwei Schreibtische gegenüber.
    Charly runzelte die Stirn. »Fürs Erste werden wir die Möbel nicht umstellen. Oder was meinst du? Sollen wir die Schreibtische vor die Fenster und das Tischchen mit den Sesseln in die Mitte rücken?«
    Elena hob die Schultern und schwieg. Die Rache meines Vaters hätte nicht schlimmer ausfallen können, dachte sie verzweifelt. Jetzt würde sie nie mehr allein sein, keine Sekunde des Tages wäre sie für sich! Wie sollte sie das nur aushalten? Selbst wenn sie Hausaufgaben machte und mal vom Heft aufschaute, würde sie eine fremde Person sehen …
    »Also ich find’s toll, dass ich nicht mehr alleine bin«, hörte sie Charlys Stimme. »Weißt du, ich bin ein Einzelkind und hab mir immer Gesellschaft gewünscht. Die hab ich jetzt. Ist das nicht toll? Ich finde es super!«
    O Gott, was für eine energische, tatkräftige, alles schön findende Mitbewohnerin! Schlimmer hätte sie es nicht treffen können! Elena sank auf das linke Bett.
    »Du willst also diese Seite?« Charly ging zum Fenster. »Gut. Aber du weißt, dass mir die Morgensonne ins Gesicht scheint? Ich mag das. Bist du mehr für die Abendsonne?«
    »Darüber hab ich noch nie nachgedacht.«
    Charly lachte sie an. »Mensch, Elena, du kannst ja über mehr als nur Wermut sprechen!« Sie kniete nieder und öffnete ihren Koffer. »Okay, packen wir zuerst aus. Aber dann schauen wir uns die Umgebung an. Alleine, nur wir beide. Einverstanden?« Sie grinste. »Valerie und Swetty. Immer wenn ich mich über Swetlana ärgere, werde ich sie Swetty
nennen. Was glaubst du, wie schnell das die Runde machen wird!«
    Elena presste die Hände zwischen die Knie. »Das wird sie dir übel nehmen.«
    »Ich hab ihr die neugierigen Fragen übel genommen. Natürlich wollen die Alten alles über die Neuen wissen, ist ja klar. Aber doch nicht schon in den ersten Minuten, oder?«
    Charly nahm eine Schere und zwei Rollen Schrankpapier aus dem Koffer. »Meine Mutter hat wirklich an alles gedacht«, meinte sie gerührt. »Eine Rolle mit hellblauen Vergissmeinnicht und eine mit roten Röschen! Wie sinnig: ›Vergiss mich nicht‹ und ›Ich liebe dich‹! Welches Muster hat dein Papier?«
    »Ich hab keines.«
    »Das stand aber auf der Liste der Gegenstände, die wir mitzubringen haben.« Charly sprang auf. »Hier, wähl eine Rolle aus. Welches Muster willst du?«
    »Danke, ich will kein Schrankpapier.« Elena verzog das Gesicht. Verdammt, diese Charly hatte wohl alles Glück dieser Welt gepachtet. Nicht allein, dass sie liebevolle Eltern und eine fürsorgliche Mutter hatte, sie war auch noch ein fröhliches, soziales Einzelkind und passte überhaupt nicht in das Schema, das sich ihre eigene Mutter zurechtgelegt hatte: Einzelkinder sind Egoisten, Einzelkinder können sich nicht durchsetzen, Einzelkinder sind schwierig, Einzelkinder sind nicht anpassungsfähig. Was für ein Blödsinn! Im Grunde genommen hielt ja nichts einer Prüfung stand, was ihre Mutter je von sich gegeben hatte. Elena stand auf. »Mal
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher