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Die Liebesbloedigkeit

Die Liebesbloedigkeit

Titel: Die Liebesbloedigkeit
Autoren: Wilhelm Genazino
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gleich fliehen zu müssen. Denn es gehört zum Ekel, sagt Dr. Blaul, daß er ohne Vorwarnung die Menschen ergreift; er muß sofort »beantwortet« werden können. Leider hat Dr. Blaul (soweit ich weiß) bis jetzt nicht einen einzigen Betrieb für seinen Plan gewinnen können.
    Ich biege in die Eichbaumstraße ein und sehe an deren Ende tatsächlich den grünen Neonschriftzug CACTUS BAR. Ich kenne das Lokal nicht, es übt auf mich keinerlei Reiz aus. Es hat zwei große Schaufenster und in der Mitte eine Glastür. Ich trete ein und wundere mich, daß es in der Bar ein paar echte und ein paar falsche Kakteen gibt. Die echten lehnen in den Ecken, ein wenig geschützt, die falschen stehen in den Schaufenstern und entlang der Innenwände. Rechts und links ziehen sich laienhaft gemalte Wandbilder hin. Dargestellt sind Wüstenlandschaften, braune Schluchten, mannshohe Kakteen, Wasserfälle und Vulkanausbrüche. Es erstaunt mich, daß sich in der stickigen Luft echte Pflanzen halten können. Auf jedem der kleinen Tische steht eine brennende Kerze. Plötzlich höre ich aus dem Hintergrund die Stimme Morgenthalers: Du kommst aber spät!
    Ich erkenne Morgenthalers Gesicht in den blaugrauen Rauchschwaden und bin erschrocken. Er sitzt an einem Tisch, trinkt Bier und kaut Erdnüsse. Die Schalen der Erdnüsse läßt er auf den Boden fallen. Eine Kellnerin geht an seinem Tisch vorbei und schreitet nicht gegen Morgenthalers Verunreinigung ein. Offenbar ist man hier für Gäste so dankbar, daß sie sich wie Wüstenferkel aufführen dürfen. Morgenthaler winkt mich zu sich heran. Wenn ich mehr Mut hätte, würde ich wieder umkehren, aber ich habe keinen Mut, beziehungsweise ich spare ihn mir für die wirklich harten Situationen auf.
    Wie ich dich kenne, trinkst du Rotwein, stimmts? fragt Morgenthaler.
    Ich nicke. Morgenthaler schiebt mir ein paar Erdnüsse über den Tisch. Ich muß jetzt dulden, daß die Leute ringsum annehmen, ich hätte den Boden beschmutzt oder mitbeschmutzt. Morgenthaler ruft Einen Roten! durch den Raum. Die Kellnerin reagiert sofort und kommt mit Glas und Flasche an unseren Tisch. Sie achtet darauf, daß sie nicht auf die Erdnußschalen tritt. Morgenthaler redet über Kunst, ich höre kaum hin. Seine Ungepflegtheit geht allmählich ins Piratenhafte über. Jetzt redet er über seine Magengeschwüre.
    Ich muß viel kaltes Bier trinken, sagt er, das ist gut für meinen Magen.
    Er lacht.
    Ich habe eine praktische Krankheit, nicht wahr? sagt er.
    Mein Blick gewöhnt sich an den halbdunklen Raum. Auf der Theke steht ein kleines Aquarium mit zwei Goldfischen drin. Der Barkeeper trägt Cowboystiefel und betrachtet seine tätowierten Arme. Ich erkenne zwei Rentner in Bluejeans und karierten Hemden, die mit halbvollen Biergläsern in der Hand umhergehen. Der hintere Teil des schlauchartigen Lokals liegt wie abgestorben da. Es stehen Kartons herum, ein kaputter Spielautomat, ein eingetrockneter Gummibaum, leere Flaschen, ein Putzeimer. Der hintere Teil des Lokals ähnelt einer verlassenen Hundewohnung. Ein Gast öffnet eine Tür. Ahhh, die Toilette! Ich versuche, mir die Stelle in der Wand zu merken, falls ich später selbst auf die Toilette muß. Zwei kleine Japanerinnen betreten das Lokal. Sie gehen direkt zur Theke und stellen sich neben das Aquarium. Morgenthaler erzählt mir, daß seine Mutter vor ein paar Tagen gestorben ist. Endlich habe ich ein bißchen Mitleid mit ihm. Er fordert mich auf, in der nächsten Woche mit ihm die Wohnung der Mutter aufzusuchen.
    Meine Mutter hat eine Menge Möbel, die du brauchen kannst! sagt Morgenthaler.
    Morgenthaler weiß, daß ich keine Möbel brauche, im Gegenteil, ich würde selbst gerne einen Teil meiner Möbel loswerden. Ich frage mich, wie betrunken Morgenthaler schon ist.
    Du kannst mitnehmen, was du willst, sagt er.
    Ich zerbeiße jetzt auch Erdnüsse und werfe wie Morgenthaler die Schalen auf den Boden. Ein paar der Erdnüsse stecke ich in die Außentasche meines Sakkos und spiele mit ihnen herum. Ich möchte Morgenthaler auf andere Gedanken bringen, aber wie? Ich könnte ihn fragen, ob er zur Zeit malt, aber dann kommt mir die Frage zu indiskret vor. Vermutlich hat er ernste Sorgen. Die Rente seiner Mutter hat auch weitgehend ihn ernährt. Diese Finanzquelle ist jetzt erloschen. Er hört nicht auf, von den Möbeln zu reden, die ich brauchen könnte. Ich betrachte einen älteren Arbeiter, der mit einer kleinen thailändischen Frau an einem der Tische sitzt. Der Mann schimpft
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