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Die lieben Patienten!

Die lieben Patienten!

Titel: Die lieben Patienten!
Autoren: Robert Tibber
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wie sie einen anlächelt... Die Gaben des Herrn sind endlos.«
    Ich mußte an die äußerst verschiedenen Dinge denken, die die Mehrzahl meiner Patienten als die Gaben des Herrn betrachteten. Als erstes auf der Liste kam der Fernsehapparat, ohne den das Leben für sie unerträglich wurde; dicht darauf folgten die Waschmaschine, der Wagen und der Plattenspieler.
    »Nicht daß wir so jung sterben müssen, sondern daß wir so lange leben, erscheint mir als Wunder«, fuhr der Reverend fort. »Wenn man an den komplizierten Mechanismus des Körpers denkt, dem der Allmächtige Leben eingeatmet hat und der Tag für Tag fehlerlos funktioniert, bis er ihn abruft. Aber natürlich muß das für Sie noch mehr als ein Wunder erscheinen - da Sie wissen, wie das Ding arbeitet.«
    »Zum mindesten, was die Klempnerarbeit anbetrifft«, entgegnete ich lächelnd.
    »Sie unterschätzen sich selbst.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Wenn Sie es richtig betrachten, kommt es nur darauf an.«
    »Der Vergleich stammt nur von Ihnen«, wehrte der Reverend ab, »vielleicht kommt einmal der Tag, an dem die Ärzte ausgebildet werden wie die Klempner und man in Ersatzteilläden neue
    Herzen, Lungen, Leber und Nieren kaufen kann - alles natürlich auf Kosten des Gesundheitsdienstes.«
    Ich lachte. Der Reverend hatte immer Humor gehabt. »Das liegt nicht außerhalb der Möglichkeiten«, erklärte ich und nahm meinen Mantel vom Stuhl. »Ich meine, wenn man den wissenschaftlichen Fortschritt betrachtet... «
    Als ich einen Arm im Mantel hatte, wandte ich mich wieder dem Bett zu. Nur für einen Augenblick hatte ich mich abgewandt, aber in dieser Zeit war mit Reverend Barker etwas geschehen. Gerade hatte er noch fröhlich gelächelt, jetzt hing sein Kopf unnatürlich auf seiner Brust, und seine Hände lagen bewegungslos auf der Decke. Ich lief zu ihm hin, rief seinen Namen und ließ meinen Mantel auf den Boden fallen. Er gab keine Antwort, ich konnte keinen Atem mehr entdecken. Allein im Raum mit dem plötzlichen schrecklichen Todesschweigen, injizierte ich ihm, so schnell ich konnte, ein Reizmittel in den Herzmuskel. Es war eine symbolische Handlung, die selten Erfolg hatte. Diesmal gab’s keine Ausnahme. Ich konnte es kaum glauben, daß mitten in der Unterhaltung, innerhalb einiger weniger Sekunden, schneller als das Schlagen einer Vogelschwinge, das Wunder des Lebens für Reverend Barker beendet war. Sein Herz hatte aufgehört zu schlagen, und es gab, im Anschluß an unser leichtfertiges Gespräch, keinen Ersatzteil dafür.
    Ich legte meine Instrumente langsam in meine Tasche zurück und versuchte, mir einige Sätze zurechtzulegen, mit denen ich Mrs. Barker ohne allzu große Schockwirkung die Neuigkeit mitteilen konnte. Ich hörte jemanden heraufkommen. »Das Wunder der... Schritte seiner Frau auf der Treppe.« Ihr Schritt war leicht, aber er konnte ihn nicht mehr hören.
    Ich trat ihr draußen vor der Tür entgegen. Sie trug einen Korb mit Obst und lächelte. »Die Leute sind so nett, Sie können es sich nicht vorstellen. Dies ist schon das zweite heute. Vorhin brachte die alte Mrs. Bentley eine Fleischbrühe, die sie gekocht hatte, und dabei kann sie selbst kaum laufen, die arme, liebe Seele...«
    Sie blickte mir ins Gesicht. »Ist etwas nicht in Ordnung?«
    »Ich fürchte... ja.«
    Sie sagte einen Augenblick nichts, und ich spürte, wie ihr die Angst vor der Zukunft, der Einsamkeit und dem Kampf ums Dasein durch den Kopf ging. Dann erinnerte sie sich an Gott, dessen Wille es war, wie sie fest glaubte.
    »Die Kinder werden sich über das Obst freuen«, sagte sie sehr langsam. »Ich werde es hinunterbringen und dann zu meinem Mann gehen.«
    »Möchten Sie, daß ich eine Nachbarin rufe?« fragte ich. Zwei einzelne Tränen rannen über ihre Wangen.
    »Ich fürchte mich nicht.«
    Ich hatte mich lange genug an den Tod gewöhnen können, aber es fiel mir noch immer schwer, Patienten zu verlieren, besonders solche, mit denen ich mich angefreundet hatte, wie Reverend Barker. Ich stand mit dem Tod auf vertrautem Fuße, aber sein Geheimnis hatte ich noch nicht ergründet. Während meiner Heimfahrt mußte ich immer wieder darüber nachdenken, ob es wirklich so einfach war, wie es Reverend Barker, aus seinem Glauben heraus, gesagt hatte.
     

5. KAPITEL
     
    Caroline, in einer Hose, die so eng war, daß sie wie eine purpurne Haut aussah, nahm die Morgenpost entgegen und brachte sie in das Kaminzimmer, wo Sylvia und ich gerade unseren Kaffee
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