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Die Liebe des Wanderchirurgen

Die Liebe des Wanderchirurgen

Titel: Die Liebe des Wanderchirurgen
Autoren: Wolf Serno
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Schatzgaleone die linke Gesichtshälfte gespalten wurde. Taggart war die Antwort nicht schuldig geblieben: Er hatte den Spanier mit einem Pistolenschuss getötet und wütend weitergekämpft, so lange, bis Doktor Hall, sein alter Schiffsarzt, ihn beschworen hatte, innezuhalten und die Verletzung unter Deck versorgen zu lassen.
    Taggart hatte widerwillig zugestimmt und geknurrt, die Sache dürfe nicht länger als fünf Minuten dauern. Hall hatte die Blutung gestillt und die Verletzung mit ein paar groben Stichen genäht, hastig und bei schlechtem Licht, und vielleicht lag darin der Grund, warum die Wundränder später schief zusammengewachsen waren.
    Fortan hing Taggart der linke Mundwinkel herunter, was ihm einen immerwährenden, grimmigen Ausdruck verlieh, ihn ansonsten aber nicht weiter anfocht. Er hatte festgestellt, dass ein Mann nicht nach seinem Aussehen zu beurteilen war, sondern einzig und allein nach seinem Charakter. Außerdem wog die Beute, die seine Männer aus der spanischen Schatzgaleone hervorholten, zehn solcher Schwertwunden auf.
    Heimgekehrt nach England, sprachen die jubelnden Massen landauf, landab von der erfolgreichsten Kaperfahrt aller Zeiten, und die
Lady of the Seas,
wie die Jungfräuliche Elizabeth von allen Teerjacken liebevoll genannt wurde, jubelte ebenfalls, denn sie hatte einen hübschen Anteil der Beute für ihre Privatschatulle erhalten, weshalb sie Taggart wenig später zum Ritter schlug.
    Seit dieser Zeit hatte Taggart einen Neider unter Englands Korsaren, wobei es sich weder um John Hawkins noch um Thomas Raunse handelte, sondern um keinen Geringeren als Francis Drake. Das Verhältnis zu ihm war mehr als angespannt, was sich auch nicht änderte, als Drake nach seiner Weltumsegelung an Bord der
Golden Hinde
ebenfalls die Ritterwürde erhalten hatte.
    Doch irgendwann war es Taggart zu dumm geworden. Anlässlich eines Fests in Schloss Whitehall war er auf Drake zugegangen und hatte ihm ins Gesicht gesagt: »Hör mal, Drake, seit Jahren umschleichen wir uns wie die eifersüchtigen Kater, reden nicht miteinander und tun so, als wäre der andere Luft. Das ist eines Captains Ihrer Majestät nicht würdig. Das muss ein Ende haben. Ich als der Ältere breche mir keinen Zacken aus der Krone, wenn ich dir hiermit versichere, dass du der berüchtigste, verfluchteste und erfolgreichste Korsar aller Zeiten bist. Und wenn du willst, erzähle ich das jedem, der es hören will, auch unserer
Lady.
«
    Eine Zeitlang hatten Drakes Augen ihn abschätzend gemustert, dann war ein breites Grinsen über sein Gesicht gewandert, und er hatte gerufen: »Da hast du ausnahmsweise mal recht, Taggart, aber auch ich will dir etwas sagen: Sollten mich wider Erwarten die Schiffswürmer vor dir zerfressen, fände ich in dir den besten Ersatz. Was trinkst du, Wein oder Brandy?«
    »Rheinwein«, hatte Taggart geantwortet.
    Und genau diese Antwort hatte er Drake auch eben gegeben. Nur dass beide nicht auf einem Hoffest weilten, sondern sich auf einer Kriegsgaleone befanden, genauer gesagt, in der Kajüte von Drakes Flaggschiff, der
Elizabeth Bonaventure
. Außer ihnen hatten weitere erfahrene Kapitäne am Tisch Platz genommen, sämtlich Kommandanten eines stattlichen Geschwaders.
    Am Morgen des 2 . April 1587 hatten sie in Plymouth die Leinen losgemacht und den frischen Nordost genutzt, der sie zügig in Richtung Ushant Island blies und weiter an den Scillys vorbei in den Atlantik hinaustrug. Einen Tag später hatten sie Kurs Süd abgesteckt und in sauberer Formation die tückische Biskaya umsegelt. Es schien eine schnelle Reise zu werden, doch am 5 . April, auf der Höhe von Kap Finisterre, hatte es sie erwischt. Sie gerieten in einen kapitalen Sturm, der die Schiffe wie Nussschalen auseinandersprengte und dafür sorgte, dass die Flotte sich erst zehn Tage später westlich von Lissabon wieder vereinigen konnte.
    Von da an war Drake, der Draufgänger, nicht mehr zu halten gewesen, das Jagdfieber hatte ihn endgültig erfasst, und er preschte mit seinem Geschwader unter Vollzeug an der Küste der Iberischen Halbinsel entlang, bis er vor etwa einer Stunde plötzlich beidrehen ließ und per Flaggensignal die Kapitäne seiner wichtigsten Schiffe zu sich an Bord befohlen hatte.
    »Ich hoffe, jeder von Euch hat etwas Anständiges zu trinken vor sich«, sagte Drake und scheuchte die hin und her wieselnde Ordonnanz hinaus. Er erhob sich, richtete seine Gestalt zu voller Höhe auf und musterte jeden einzelnen seiner Kapitäne
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