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Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)

Titel: Die Liebe der Baumeisterin: Roman (German Edition)
Autoren: Heidi Rehn
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Kunstdienern um Meister Römer allein in der Fremde unterwegs? Großer Gott!« Dora biss sich auf die Lippen. Für eine Weile studierte sie die Spitzen ihrer Schlappen an den Füßen. Die aus Filz gefertigten Hausschuhe fransten an den Rändern aus, insbesondere vorn an der Kappe war der Stoff bereits reichlich fadenscheinig. Jede Bewegung ihrer Zehen schimmerte durch. Angestrengt überlegte sie, tippte mit dem Zeigefinger gegen die Lippen, als ließen sich auf diese Weise die Gedanken beschleunigen. »Es wird nicht zu schaffen sein«, erklärte sie schließlich, »selbst wenn wir fortan Tag und Nacht daran sitzen, dich besser in der Baukunst zu unterweisen. Nie und nimmer werden Römer und seine Kunstdiener dir abnehmen, du stündest kurz davor, ein echter Meister zu sein. Schon nach kurzer Zeit werden sie dir auf die Schliche kommen, wie wenig du gewohnt bist, dir aus eigenen Stücken Gedanken über das Bauwesen zu machen. Selbst die Anfertigung des einfachsten Risses gelingt dir kaum, vom Berechnen der Größenverhältnisse ganz zu schweigen, und an eigene Entwürfe ist erst recht nicht zu denken.«
    »Eben hast du noch vorgeschlagen, dass wir Vater den von dir erweiterten Entwurf für Gerichtsrat Jonas als den meinen vorlegen. Ebenso gut können wir den Plan hernehmen, um auch Meister Römer und die anderen von meinem Können zu überzeugen.«
    »Aber das reicht nicht! Nur zu gern mag Vater dir das abnehmen, weil er glauben will, dass du dazu fähig bist. Bei Römer und seinen Leuten sieht das anders aus. Mag sein, dass sie den Entwurf zunächst als den deinen akzeptieren. Doch vergiss nicht, über Wochen wirst du mit Meister Römer reisen, dich ein ganzes Jahr lang mit den klügsten Kunstdienern des Herzogtums in Nürnberg aufhalten. Ausgerechnet Nürnberg! Von dort kommen derzeit die besten Baumeister. Binnen kürzester Zeit werden sie herausfinden, wie dünn deine Kenntnisse sind. Anders als Vater werden sie sich eben nicht davon täuschen lassen, etwas in dir sehen zu wollen, was du nicht bist.«
    Vor Entrüstung konnte sie kaum Luft holen, so heftig pochte ihr das Herz. Viel zu spät erst wurde sie gewahr, wie blass Jörg über ihren Worten geworden war.
    »Ich habe es gewusst. Du lässt mich im Stich.«
    »Wie soll ich dir beistehen? Vater wird mich wohl kaum mit auf die Reise schicken.«
    »Ganz bestimmt nicht!«, dröhnte eine dunkle Stimme von der Tür her. Entsetzt wandten sie sich um. Wieder stand der Türflügel weit offen. Breitbeinig wie vorhin Jörg hatte sich dort nun der Vater aufgebaut. Seine Reglosigkeit wie seine Bemerkung ließen darauf schließen, dass er ihrer Unterhaltung schon seit längerem gelauscht hatte. Dora fühlte sich unbehaglich, Jörg wurde noch blasser. Vor Wut war Wenzel Seleges Antlitz dunkelrot angelaufen. Der eckige Bart um Kinn und Wangen bebte, selbst die riesige Nase schien vom zornigen Zittern erfasst. Die braunen Augen zu schmalen Schlitzen verengt, schaute er sie beide durchdringend an. Es kümmerte ihn wenig, dass sein mächtiger Körper in einer völlig durchnässten Schaube steckte und sein kantiger Schädel barhäuptig war, das spärliche Haar in sämtliche Richtungen davon abstand.
    »Soll ich Euch trockene Kleidung holen, Vater?« Dora rang sich ein scheues Lächeln ab. »Ihr seid nass bis auf die Knochen.«
    »Was treibt ihr hier?« Er schenkte ihr keinerlei Beachtung, sah allein Jörg an.
    »Also, Ihr müsst wissen, wir, also, Dora und ich haben, wahrscheinlich versteht Ihr das jetzt …«, stammelte der Zwanzigjährige.
    Wenzel Selege fuhr ihm ungeduldig über den Mund: »Genug! Schweig still!«
    Wütend warf er die Tür hinter sich zu. Der laute Knall hallte im ganzen Haus wider. Zielsicher steuerte er auf den langen Arbeitstisch vor der Fensterfront zu und schob sich die Rolle mit dem Aufriss des Hauses von Gerichtsrat Jonas zurecht. Das Rascheln des Papiers erschien Dora unendlich laut. Bei all dem Lärm, den der Vater verursachte, wunderte sie sich, wie Jörg und sie sein Auftauchen völlig hatten überhören können. Sie äugte zu Jörg. Starr blickte der mit nach vorn gesackten Schultern auf den Vater, die hellen Augenbrauen hochgezogen, Gesicht und Lippen blutleer.
    »Habt ihr euch etwa an meinem Entwurf zu schaffen gemacht?« Anklagend tippte Wenzel auf das Papier. Seine bernsteinfarbenen Augen funkelten böse. »Wieso seid ihr beide überhaupt um diese Zeit in der Werkstatt?« Sein Blick fiel auf Dora. Sein Gesicht verfärbte sich noch dunkler, blau
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