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Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)

Titel: Die letzten Tage Europas: Wie wir eine gute Idee versenken (German Edition)
Autoren: Henryk M. Broder
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haben.
    Ich nehme allerdings an, dass die Maßnahmen im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit in Finnland andere sein müssten als in Griechenland, in Polen anders als in Portugal. Sie zentralistisch von Brüssel aus angehen zu wollen, indem zum Beispiel »kleine und mittlere Unternehmen durch zinsverbilligte Darlehen der Europäischen Investitionsbank« gefördert werden, kommt nur der auf Selbstexpansion bedachten Brüsseler Büro- und Kleptokratie zugute, die erst die geeigneten Strukturen aufbauen muss, um die bereitgestellten Mittel verteilen zu können. Das kostet Geld und Zeit. Derweil die Zuständigen in den Empfängerländern auf die Ankunft des Dukatenesels warten, statt sich selber etwas einfallen zu lassen, wie sie den arbeitslosen Jugendlichen helfen könnten, am besten »nachhaltig«. Dabei hatte die Kanzlerin schon Anfang Juni erklärt, sie sehe »keine Notwendigkeit, in den nächsten Jahren noch mehr Rechte an die Kommission in Brüssel abzugeben«, es müsse allerdings »die wirtschaftspolitische Koordinierung in Europa … gestärkt werden«. Also wieder einmal Bremsen und Gas geben zur selben Zeit, Sparen und Investieren, Täuschen und Tricksen.
    Es ist müßig, darüber zu räsonieren, wann und wo Europa entgleist ist. In Rom, Nizza, Maastricht oder Lissabon? Mit dem Übergang von der EWG zur EG ? Beim Umzug aus der EG in die EU ? Mit der Einführung des Euro? Oder erst mit dem Einsetzen der Finanzkrise 2008? Sicher ist nur: Auf diesem Projekt lastet der Fluch des Größenwahns und der Inkompetenz. Diese Mischung wurde schon dem Luftschiff »Hindenburg« und dem Luxusliner »Titanic« zum Verhängnis, vom Misserfolg der Nazis, ein geeintes Europa zu schaffen, nicht zu reden.
    Sicher ist auch: Man kann die Uhr nicht zurückdrehen, es führt kein Weg zum Status quo ante wie beim Rückbau von der Ampelkreuzung zum Kreisverkehr. Deutschland nach dem Fall der Mauer ist ein anderes Deutschland als vor der deutschen Teilung. Die DDR hat tiefe Spuren hinterlassen, die noch viele Generationen beschäftigen werden. Und auch zur Wendezeit gab es Stimmen, die vor den Folgen einer drohenden »Wiedervereinigung« warnten: zu riskant, zu teuer, zu unabsehbar. Günter Grass nannte die DDR eine »kommode Diktatur«, eine Strafe für Auschwitz, die noch nicht verbüßt sei. Nicht wenige Linke, die von der DDR keine gute Meinung hatten, wollten sie – irgendwie – erhalten wissen, und sei es nur, um ein »Viertes Reich« zu verhindern. Die deutsche Teilung sei ein Übel, aber gemessen an den Gefahren, die ein »Großdeutschland« mit sich bringen würde, eben nur das kleinere Übel.
    So ähnlich, wenn auch spiegelverkehrt, wird heute argumentiert. Die Alternative zur EU wäre ein Rückfall in die Kleinstaaterei, der Rückbau zu mühsam, zu teuer und überhaupt viel zu riskant. Es sei besser, sich mit dem »kleineren Übel« zu arrangieren, als einen politischen und materiellen GAU zu riskieren. Aber das ist eine extrem germanozentrische Sicht der Dinge. Sigmar Gabriel sagte neulich in einem TV -Interview, man müsse den jungen Arbeitslosen im Süden Europas helfen, damit sie in der Lage wären, deutsche Produkte zu kaufen, denn davon wiederum hänge der Wohlstand der Deutschen ab.
    Von Griechenland oder Spanien aus betrachtet sieht die Lage ganz anders aus. Und wenn nach den Kroaten jetzt auch noch die Albaner, die Serben, die Montenegriner und die Mazedonier in die EU aufgenommen werden möchten, dann nicht, weil sie von der Idee der »Vereinigten Staaten von Europa« so begeistert sind oder weil sie helfen wollen, dass Europa im globalen Wettbewerb mit den USA , China, Indien bestehen kann. Nein, sie hoffen, dass die EU ihre hausgemachten Probleme lösen oder wegzaubern wird, wie der kroatische Flaschensammler am Tag des Beitritts seines Landes zur EU . Die Union ist der Sugar-Daddy, über dessen sagenhafte Potenz sich seine Gespielinnen gerne täuschen lassen.
    Was tun? Ich weiß es nicht. Ich kann Ihnen auch nicht sagen, wie Sie Ihr Geld sicher anlegen oder wohin Sie vorsichtshalber auswandern sollten. Ich bin weder für noch gegen eine Auflösung der EU , weder für noch gegen eine Abschaffung des Euro und eine Rückkehr zu den alten Währungen. Ich will mir nur nicht ständig sagen lassen, es gäbe zu der jetzigen Situation »keine Alternative«, weswegen wir immer weitermachen müssten, ohne uns umzusehen, damit es uns nicht so ergeht wie Lots Frau auf der Flucht aus Sodom.
    Ich bin allerdings sehr
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